Es weihnachtet sehr in Wien: Aber auch am Heldenplatz?

Gedanken über das Haus der Geschichte. Gibt es eine Nationalbibliothek ohne Nation?

Wenn Hausbriefkästen platzen könnten, würden sie es in diesen Tagen tun. Scheint es nur so oder hat die Post heuer in der Vorweihnachtszeit besonders viel zu tun? Die Briefe, die um Hilfe bitten, häufen sich, während die Grußbotschaften – oder täusche ich mich? – immer seltener werden. Die Bettelpost nimmt überhand. Und nicht nur sie: Auch die menschlichen Bettler und Bettlerinnen sind diesmal zahlreicher geworden.

In den Buchhandlungen hinwieder herrscht „Normalbetrieb“. Ist es wirklich wahr, dass Bücher auch heuer wieder zu den häufigsten Weihnachtsgeschenken zählen, und dass sich die Jubiläen und Gedenktage auch in den Auslagen des gedruckten Lesestoffs stapeln? Lesen bildet, heißt es. An Ereignissen, an die mit Wort und mitunter auch mit Bild erinnert wird, herrscht kein Mangel – nicht nur das Leben Kaiser Franz Josephs ist anlässlich seines hundertsten Todestages wieder aktuell.

Allein, der Buchhandel hat es schwer. Noch einmal: Lesen bildet. Dass die Bildungspolitik wichtig ist, haben bisher alle Regierungsprogramme hervorgehoben. Sie tun es weiter, obwohl nicht klar ist, wie der Begriff „Bildung“ in Parteiprogrammen verstanden werden soll. Ich halte es mit dem Geschichtswissen. Ich warte, was das Haus der Geschichte präsentieren wird, wenn es erst einmal seine Pforten öffnet. Es wird ja am Heldenplatz untergebracht sein, der Nationalbibliothek benachbart und nach Ideen und Gedanken von Oliver Rathkolb gestaltet, dessen sozialdemokratische Gedanken nie geheim waren. Die Eröffnung des neuen Museums ist indessen hinausgeschoben worden. Welche Partei dann am Ruder sein wird, weiß der Himmel.


Dass das Haus der Geschichte gerade am Heldenplatz untergebracht werden soll, stimmt nachdenklich. Es erhebt sich nämlich die Frage, wann diese Geschichte, die in diesem Museum präsentiert wird, begonnen hat. Dass es sich nicht um eine handelt, die mit der Republik ihren Anfang nahm, ist indessen klar geworden. Man kann das Haus Habsburg mit allen seinen Vorteilen und Fehlern nicht verschweigen. Aber wo dann beginnen? 1848, als ein anderes Revolutionsjahr bekannt, oder 1867/68 – um Österreich-Ungarn den ihm gebührenden Platz einzuräumen?

Dass der Heldenplatz geeignet ist, die Geschichte Österreichs aufzunehmen, ist richtig. Nicht richtig ist, den Ort mit der Idee zu verschmelzen. Ich erinnere mich an eine andere, die uns, die wir damals lebten (ich war Gymnasiast), die rot-weiß-roten Fahnen wehen ließ: 950 Jahre Österreich war damals die Devise, und es gab keine Schule, die diesen Anlass nicht feierte – und die neu gewonnene Freiheit dazu. Und jetzt? Es ist nichts weniger als ein Gedankenstapel, der sich erhebt, wenn man vom Ring zum Michaelerplatz fährt und jenes Burgtor passiert, das heute als Heldentor bekannt ist, und dabei den Heldenplatz quert. „Iustitia Regnorum Fundamentum“ steht über dem Tor. Darf man da an 2016 denken? Und der Helden-Begriff – ist er im Österreich von heute noch verwertbar, außer dort, wo er nicht Menschen eines neutralen Staates meint, sondern solche, die unter Aufbietung aller Kräfte Hilfe leisten?

Denken wir weiter! Was, wenn man den Heldenplatz künftig, wie vorgeschlagen wurde, Platz der Republik nennt? Und wieso gibt es eine Nationalbibliothek, da doch der Begriff „Nation“ für Österreich nicht mehr gilt? Gehen wir lieber durch die Kärntner Straße. Es weihnachtet sehr.

Der Autor war langjähriger Chefredakteur und Herausgeber der „Presse“.
E-Mails an: thomas.chorherr@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.12.2016)

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