Das Ortner-Prinzip: Nachhilfe für Josef Pröll

Wir sind die Guten. Wir haben die edlen Werte.

Wir rennen jeden Sonntag in die Kirche, hin und wieder zum Wallfahrten nach Mariazell – kein führender ÖVP-Politiker, der sich nicht gerne als „christlich-sozial“ bezeichnet. Was die Schwarzen gerade rund um die Mindestsicherung aufführen, hat mit christlichen Werten nichts zu tun.

Im Gegenteil, ihr Verhalten ist unanständig. Es wird auch dem lieben Gott missfallen, wenn die ÖVPler seit der rot-schwarzen Einigung 2006 immer wieder alles tun, um die Mindestsicherung zu beschneiden oder gar zu kippen – auch, weil diese wichtige Maßnahme ein Prestigeprojekt der Roten ist. Besonders schäbig ist das jüngste ÖVP-Manöver: Wenn ihr Sozialdemokraten nicht unsere Transparenzdatenbank schluckt, muss eure Mindestsicherung warten – Ätsch! Dass viele Menschen derweil in Angst vor dem sozialen Absturz leben, ist den Christdemokraten anscheinend egal.

Josef Pröll braucht etwas Nachhilfe im Einmaleins des Christenmenschen. Also: Es ist nicht christlich-sozial, die Mindestsicherung als „soziale Hängematte“ zu verunglimpfen – der ÖVP-Chef kann ja einmal ausprobieren, wie lustig es sich mit 744 Euro monatlich lebt. Es ist nicht christlich-sozial, das Land in „Geber und Nehmer“ auseinander zu dividieren – als wären alle, die krank oder nicht voll erwerbsfähig sind, Menschen zweiter Klasse. Es ist nicht christlich-sozial, gegen Vermögenssteuern zu sein – „Ihr müsst die Reichen schonen!“ steht in der Bibel nicht geschrieben. Und es ist nicht christlich-sozial, das Fremdenrecht dauernd zu verschärfen – um allen zu zeigen: In unser sauberes Land kommt nicht jeder rein.

An diesem Denken ist auch Wolfgang Schüssel schuld. Die Umdeutung des christlich-sozialen Weltbildes in eine neoliberale bürgerliche Vision hält sich aber bis heute in der ÖVP. Und eines muss man dem Jazzmessenprofi Schüssel zu Gute halten: Er hat zumindest in der Theorie gewusst, was christlich-sozial bedeutet. Nämlich alle Chancen für die Strebsamen, aber auch volle Solidarität für die Schwachen.

Klar, der junge Pröll will weg vom muffigen Kinder-Kirche-Küche-Image seiner Partei. Doch wenn er dabei einen wichtigen Teil der bürgerlichen Identität vergisst, sollte er sich auch sein Werte-Blabla sparen. Und sagen: Mir ist der neoliberale Guido Westerwelle halt näher als die brave Caritas.

Julia Ortner ist Redakteurin im Politik-Ressort der Wochenzeitung „Falter“.


ortner@falter.at

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.06.2010)

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