Ein Opfer des WK I

Ich besuchte ihn im AKH, aber er sei noch nicht ansprechbar, flüsterte mir der Arzt zu. Am Montag vielleicht...

T.V., das muss erklärt werden, war bis dato mein Redaktionskollege, Stubengenosse, Freund, Leidensgefährte. In letzter Zeit jedoch hat er sich stark zu seinen Ungunsten verändert. Bleich, hohlwangig, hypersensibel. Schreckhaft hat er die Büchertürme, die in unserer Schreibstube seit Wochen emporwachsen, verfolgt. Ungeordnet, aller Statik trotzend. Ach, wie zuckte er am Morgen zusammen, wenn er das herrische Klopfen des Redaktionsboten vernahm! Mit verschlagenem Grinsen schüttete dieses Faktotum neue Bücherlawinen in unser Kammerl. Ja, der Erste Weltkrieg hat's in sich. Rauchensteiners Kompendium bildet die solide Basis unseres Turmes, des Kaisers Bosniaken, ein Wälzer von ca. zwei Kilo, sollte dem Bauwerk trügerischen Halt verleihen. Doch tagtäglich folgen neue Ergüsse, Erkenntnisse, Biografien, Schlachtpläne, Bildbände.

Gestern, es war um die Mittagszeit, erfüllte sich T.V.s Schicksal. Der linke Zweimeterturm kippte, mein Freund lag röchelnd begraben. Aber er lebt! Seine schauerlichen Flüche bewiesen es.

Am Montag werde ich ihn wieder besuchen. Als Wiedergutmachung kriegt er Wladimir Aichelburgs Werk über Franz Ferdinands Korrespondenz. Wiegt dreieinhalb Kilo. Mindestens. (hws)

Reaktionen an: hans-werner.scheidl@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.06.2014)

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