Wahre Freundschaft soll...

Der grau melierte Mann mittleren Alters sah erbarmungswürdig abgesandelt aus.

Gestern war's, in der „Gruft“ unter der Mariahilfer Kirche, nach dem Gottesdienst. Es gab Leberkäs mit Erdäpfelpüree, aber das war nicht alles, was der neue Gast erbat. Ein Nachtquartier sei dringend nötig. Man habe ihn delogiert, klagte er. Und aus seiner langen Erzählung vom oberen Stockbett herab ergab sich das erbarmungswürdige Sittenbild eines Glücksritters, der hoch gestiegen und nach kurzen Jahren passablen Reichtums ebenso tief gefallen war. Seit er die gepachtete Tankstelle im schönen Tirol verlassen hatte, um in Wien das große Geld zu machen, war alles eine Zeit lang paletti. Ein politischer Gönner (†) verlieh ihm ein Mandat, machte ihn zum Generalsekretär seiner prosperierenden Gruppierung, aber dann verlor der stets fröhliche Bursch Maß und Ziel. Ein Steuerdelikt kostete ihn zwar den Sitz im Hohen Haus, aber das ließ er sich in bar abgelten. Dann probierte er es als Ezzesgeber im bekannt seriösen Immobiliengeschäft. Millionenprovisionen sprudelten, die Finanz kam immer einen Schritt zu spät. Die Villa in Grinzing war vom Feinsten, doch nun ist er gekündigt. Delogiert. Freilich: Eine vage Hoffnung gibt es noch. Sein Freund, der Immobilienspezi, könnte eine kleine Absteige erübrigen. Wir hoffen es sehr. Wahre Freunde erkennt man erst in der Not. (hws)

Reaktionen an:hans-werner.scheidl@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.09.2014)

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