Er ist wieder da

Monatelang waren sie nackig, die Bäume, die Sträucher, und die Wiesen braunbeige und gatschig. Dann endlich das Ritual:

Das Zischen der Luftpumpe, das Pffft des Ölsprays, das Klicken der Helmschnalle am Kinn. Zrsst macht in diesen Tagen noch der Reißverschluss der Jacke. Und raus auf Asphalt und Feldweg.

Myriaden winziger grauer Pünktchen wurden silbrig, wurden braun, wurden grün und entließen es in Freiheit unter die Sonne, das neue Leben dieses Jahres. Die Blättchenbündel an der Kastanie noch winzig wie grüne Federbuschen, kitschig geschminkt in Mädchenrosa schon die Kirsche hier, in Weiß die andere Kirsche da, schreiend gelb wie Feuerwerk der Goldregen und noch zurückhaltend mit seinen rotbraunen Knöspchen der Apfel. Er ist wieder da, der Frühling, die Welt zieht sich an für ein neues Fest des Lebens, für neue Chancen und neue Wege, neue Ideen und neue Beschlüsse.

Der Fahrtwind mild, die Sonne grell. Geruch nach süßen Stäuben und frischem Gras. Man betrinkt sich leicht an Frühlingsstimmung. Und dann denk ich an die armen Typen, denen jetzt Nase und Augen rinnen. Da ist auch der totgefahr'ne Marder am Straßenrand, das Blut aus dem Maul angetrocknet auf dem Asphalt. Bald darauf ein platter Hase, und noch einer. Und das erinnert einen wieder daran, dass hinter dem Fest des Lebens die Raubtiere lauern.

Reaktionen an: wolfgang.greber@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.04.2015)

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