Die Toleranz-Pfeifen

APA/GEORG HOCHMUTH
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Bei der russischen Sängerin endete die Toleranz. Nicht aber wegen ihres Gesangs oder gar ihres Liedes.

Die Song-Contest-Show war schön, echt moving, wirklich. Da war's umso trauriger, was geschah: Trotz Toleranzgehirnwaschgangs und Brückenbauerkampagne haben die brückenbauenden Toleranzbereiten in der Wiener Stadthalle die russische Kandidatin ausgepfiffen. So, als ob Polina Gagarina, das engelhafte Wesen mit dem Ich-seh-über-die endlose-Taiga-Blick, etwas für das bellizistische Treiben der Kreml-Machos und anderer Mächtiger kann, ja eine kollaborierende Staatskünstlerin ist. Die Arme war sichtlich traurig deswegen. Dabei konnte man, sofern man wollte, viele Gründe finden, auch andere Kandidaten auszubuhen. Etwa die Griechin: Deren Leute haben Europa seit Jahrzehnten betrogen, sind nun pleite und treiben die EU fast in den Orkus. Oder die Deutschen: Die wollen doch alles totsparen, oder? Die Franzosen intervenieren dauernd in Afrika und stopfen Gänse. Die Ungarn kreuzen in rechtsrechten Tümpeln und ihr Premier findet die Todesstrafe gut. Die Spanier machen Stierkampf, die lustigen Norweger jagen Wale! (Etc.)

Nun ja: Man merkt, dass Toleranz vor allem dann eingefordert wird, wenn's um eigene Interessen geht, ansonsten hüpft schnell der Knüppel aus dem Sack. In dem Kontext verwundert eigentlich, warum hierzulande bei Putins Busenfreundin Anna Netrebko nicht gepfiffen wird. Aber dort ist vielleicht das Publikum cooler.

WG

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.05.2015)

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