Adieu des Fußballgotts

Vom Boden- bis zum Neusiedlersee weinte der Himmel, und der Regen verwischte die rot-weiß-rot gefärbten Wangen.

Vom Boden- bis zum Neusiedlersee weinte der Himmel, und der Regen verwischte die rot-weiß-rot gefärbten Wangen. In Bordeaux war ein Atlantiktief aufgezogen, der Hype um Alaba & Co. war wie ein Soufflé in sich zusammengefallen. Als gelernter Österreicher weiß man, wie das endet: Angesichts des Trauerspiels verwandelte sich die Europhorie über Nacht in kollektive Depression. „Bonjour Tristesse“, titelte ein Blatt im frankophilen Weltschmerz.

Die Nation hatte mitgelitten mit ihren Helden und dem „aufgezuckerten“ ORF-Kommentator. Die Leiden des Oliver P. infizierten das Land. Unter dem Motto „Zuerst haben wir kein Glück gehabt, und dann kam auch noch das Pech dazu“ suhlte er sich in Selbstmitleid. Schuld an der Misere hätten der französische Schiedsrichter und die „säbelnden“ Ungarn. Fehlte nur, dass er Viktor Orbán haftbar gemachte hätte – die Staatskrise wäre perfekt gewesen.

Für David Alaba fühlte sich die Niederlage derweil an wie ein „Stich ins Herz“. Wo die Not am größten ist, da wächst indessen auch das Rettende. Österreichs Fußballgott hatte Psalm 23, den vom guten Hirten und von der Wanderung durch die finstere Schlucht, am Fußballschuh angebracht: „Er lässt mich lagern auf grünen Auen und führt mich zum Ruheplatz am Wasser.“ Oft ist dies allerdings auch ein letztes Adieu am offenen Grab. (vier)

Reaktionen an:thomas.vieregge@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.06.2016)

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