Nizza

An der Côte d'Azur, 1970er, mein erstes Meer. Und Oleander, Lavendel, Bouillabaisse, Orangina und das bittere Rasierwasser von Onkel Jo.
An der Côte d'Azur, 1970er, mein erstes Meer. Und Oleander, Lavendel, Bouillabaisse, Orangina und das bittere Rasierwasser von Onkel Jo. DGL/Wikipedia
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Südfrankreich. Côte d'Azur. Geruch von Lavendel, Geschmack nach Orangina. Als Kind bekam ich dort den ersten bitteren Schluck Meerwasser ab. Jetzt hat ein Wahnsinniger mein erstes Meer zur Blutküste gemacht.

Südfrankreich. Die Côte d'Azur. Marseille. Toulon. Hyères. Nizza. Bei den Namen riech ich Meer, Oleander, Lavendel, sommervertrocknetes Gras und warmes Baguette, da ist der Geschmack von Sardellen, Bouillabaisse, Pissaladière und der berühmten Franzosen-Limonade Orangina.

Ich riech auch noch heute das bittere Rasierwasser von Onkel Joseph dort, genannt Jo, ein korsischer Mathematik- und Deutschlehrer, der nach dem Krieg als Soldat in die französische Besatzungszone Vorarlberg kam und von dort Elvira, die hübsche Schwester meines Vaters, zurück mit nach Südfrankreich nahm. In Hyères gründeten sie eine Familie. Und so bekam ich später als Drei- oder Vierjähriger den ersten Schluck Meerwasser, der garstig bitter im Mund brannte, eben zwangsläufig dort ab - nicht an einem Hausmeisterstrand an der nördlichen Adria oder sonst wo in Italien oder Jugoslawien, sondern an der Côte d'Azur, der edlen, azurblauen Küste.

Alle paar Jahre fuhren wir im Sommer von Bregenz dorthin, acht bis neun Stunden waren es über Genf oder Mailand, meist durch die Nacht. Ich schlief hinten im Auto, es roch nach Leder und Stoff und kühle Luft kam herein. Die Kette der gelben Laternen an der Promenade des Anglais in Nizza war endlos und die Nachtluft schwül und voll provenzalischen Kräuterdunstes. Dann gab es endlich eine Orangina. Am Morgen holten wir duftende knusprige Baguettes aus einer kleinen Bäckerei.

Elvira, Jo und Vater sind schon lang nicht mehr, und ein Wahnsinniger hat jetzt meine azurblaue Küste, mein erstes Meer, zu einer Blutküste gemacht, zur Côte du Sang. Und statt der Orangina ist da wieder dieser bittere Geschmack im Mund. (wg)

Reaktionen an: wolfgang.greber@diepresse.com

(Print-Ausgabe, 16.07.2016)

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