Pizzicato

Schmidts Visionen

Wer Visionen hat, soll zum Arzt gehen: Wie oft haben wir das schon gehört! Zuletzt wurde dieses gallige Aperçu, welches der damalige deutsche Bundeskanzler Helmut Schmidt 1980 einem „Spiegel“-Journalisten aufs Tonbandgerät geätzt hat, nach der jüngsten Bundestagswahl aus dem Fundus patinierter Stilwendungen gekramt, um Frankreichs Staatspräsident, Emmanuel Macron, ein bisschen die europapolitische Fantasie abzuräumen.

Der Franzmann möge nicht deppert herumfaseln, da könnte ja jeder kommen, wir machen weiter wie bisher: Das will man mit dem Schmidt'schen Visionenzitat ausdrücken, und damit es besonders knallt, psychopathologisiert man den vermeintlichen Visionär gleich auf recht unfeine Weise. Aber was wäre, wenn es sich genau umgekehrt verhielte? Wenn also der, dem es an Visionen gebricht, ärztlichen Beistand aufsuchen sollte, weil er keine Vorstellungen, Zukunftsbilder, Zukunftsträume hat, um aus dem Duden-Synonymwörterbuch die positiven Bedeutungen von „Vision“ zu zitieren? „Es war eine pampige Antwort auf eine dusselige Frage“, rückte Schmidt ein paar Jahre vor seinem Ableben im „Zeit-Magazin“ den Eindruck zurecht, er sei großen Ideen abhold gewesen. Wie formuliert es der Maler Francis Picabia? Der Kopf ist rund, damit das Denken die Richtung wechseln kann. GO

Reaktionen an: oliver.grimm@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.10.2017)

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