EU-Chefsessel ist bereit für die erste Frau

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Christine Lagarde, die französische Chefin des Internationalen Währungsfonds, erntet allerorten Lob. Der Europäischen Kommission könnte sie den lange vermissten Glanz verleihen.

Brüssel. Wer soll ab 2015 die Europäische Kommission führen? „Christine Lagarde“, die Chefin des Internationalen Währungsfonds, sagte neulich eine für gewöhnlich sehr gut informierte Brüsseler Quelle zur „Presse“. „Die Europäische Volkspartei ist bereit, Lagarde zu nominieren, wenn sie das will.“

Gewiss: Bis zur Europawahl im Juni 2014, die erstmals auch den Präsidenten der Kommission bestimmen wird, sind es noch eineinhalb Jahre. Doch die Zeit drängt für Europas Christdemokraten. Die Sozialdemokraten bringen seit Monaten Martin Schulz, den Präsidenten des Europaparlaments, als ihren Kandidaten für die Chefetage im 13. Stock des Berlaymont-Gebäudes in der Brüsseler Rue de la Loi 200 in Stellung.

Und auch in zwei der größten Gründungsmitglieder der Union sind die Sozialdemokraten im Aufwind. Sollten im kommenden Frühjahr Pier Luigi Bersani in Rom und im Herbst Peer Steinbrück in Berlin Wahlsiege erringen, wäre die langjährige Vormachtstellung der EVP auf europäischer Ebene ernsthaft gefährdet.

Somit ist die halbtägige Parteiklausur der EVP am 11.Jänner auf Zypern neben dem Streit um den EU-Budgetrahmen der Jahre 2014 bis 2020 vor allem den Vorbereitung der Europawahl gewidmet.

Angela Merkel, Donald Tusk, Mariano Rajoy und die anderen Spitzen der Partei werden dabei zwei wesentliche Fragen beantworten müssen: Soll die Kommission nach den eher ernüchternden Amtszeiten des Italieners Romano Prodi und des Portugiesen José Manuel Barroso wieder einen starken Charakter vom Zuschnitt eines Jacques Delors bekommen? Und welcher Kandidat vereint die Trittsicherheit auf dem internationalen Parkett der Hochfinanz und Diplomatie mit dem nötigen Fingerspitzengefühl, die Gräben innerhalb der Union der 27 zu überbrücken?

Retterin des Euro

Lagarde, die am 1.Jänner 57 Jahre alt wird, würde beide Bedingungen erfüllen. Die frühere Wirtschaftsanwältin hat in ihrer gerade einmal siebenjährigen politischen Laufbahn fast ausnahmslos höchstes Lob erhalten. Martin Bartenstein zum Beispiel, seinerzeit Wirtschaftsminister in der schwarz-blauen Bundesregierung, kam 2005 beim Gipfeltreffen der Welthandelsorganisation WTO in Hongkong bei den täglichen Pressegesprächen kaum aus dem Schwärmen über die Führungsstärke der damaligen französischen Handelsministerin heraus. Später, als Finanzministerin, war Lagarde bei den EU-Finanzministerräten stets um Ausgleich und die Suche nach Kompromissen bemüht. Noch heute loben Sitzungsteilnehmer ihr Geschick, Gemeinsames vor Trennendes zu rücken.

Das war ab dem Ausbruch der Finanzkrise im Jahr 2008 schon nicht leicht; mit der Eskalation der Malaise in der Währungsunion ein Jahr später wurde es schier unmöglich. Die vorläufige Stabilisierung des Euro wäre wohl nicht geglückt, hätte es neben Jean-Claude Trichet und Mario Draghi, den entscheidungswilligen Präsidenten der Europäischen Zentralbank in Frankfurt, ab Juli 2011 nicht auch eine europäische IWF-Chefin in Washington gegeben. „Ich habe eine emotionale Seite, die proeuropäisch ist“, sagte Lagarde im Mai 2011 zum „Guardian“.

Für Hollande akzeptabel

Und auch die Dissonanzen zwischen „alten“ und „neuen“ EU-Staaten dürfte Lagarde eher beseitigen, als es Barroso gelingt; er schielt auf den Posten als UNO-Generalsekretär und hat für die Befindlichkeiten der Osteuropäer weder Gespür noch Geduld. Lagarde dagegen befasste sich von 1995 bis 2002 im Washingtoner Center for Strategic and International Studies mit Fragen der Handels- und Rüstungspolitik Polens.

Und was vor allem für sie spricht: Sie wäre weltanschaulich für Angela Merkel ebenso akzeptabel wie kraft ihrer Staatsbürgerschaft für den sozialistischen Präsidenten François Hollande. Ein so hohes Amt für eine Landsfrau schlägt man im Élysée aus ideologischen Gründen nicht aus.

„Ich bin eine Optimistin und glaube an Europa – und daran, dass die Reise, die unsere Vorgänger begonnen haben, als sie den Euro einführten, noch nicht zu Ende ist“, sagte Lagarde dieser Tage zur „Zeit“. Ob sie neue Reiseleiterin Europas wird, dürfte sich bald zeigen.

Zur Person

Christine Lagarde (*1956, Paris) ist seit Juli 2011 Chefin des Internationalen Währungsfonds. Zuvor war die Juristin von 2007 an Frankreichs Finanzministerin. Diese Ämter bekleidete sie als erste Frau – so wie den Chefposten in der US-Anwaltskanzlei Baker & McKenzie, welche die passionierte Schwimmerin 1999–2004 führte.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.12.2012)

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