Bescheiden für eine Literaten-Queen: So wirkt Katja Petrowskaja, die Gewinnerin des Bachmann-Preises.
Ich freue mich, dass ich so gut verstanden wurde. Wenn ich in der Jury gewesen wäre, hätte ich einen anderen Text ausgewählt.“ Das sagte die 1970 in der Ukraine geborene Katja Petrowskaja, Gewinnerin des Bachmann-Preises. In ihrer Geschichte „Vielleicht Esther“ erzählt sie von ihrer Großmutter, die 1941 in Kiew von den Nationalsozialisten verschleppt und ermordet wurde. Das Buch erscheint im März 2014 beim Suhrkamp-Verlag, der sich trotz Krise und laufendem Insolvenzverfahren als Hort für die Entdeckung und Förderung von Talenten offenbar weiterhin bewährt. „Lasse der Herrgott dich soviel wissen, wie ich nicht weiß, sagte Babuschka.“ So beginnt Petrowskajas Text.
Sie erzählt, dass sie sich erst spät damit befasst habe, dass sie Jüdin sei, ihre Herkunft habe ihr innerlich nichts bedeutet – bis sie begann, sich mit dem Schicksal ihrer Großmutter zu beschäftigen. Die Jury lobte den Text besonders für seinen Verzicht auf Pathos und Larmoyanz, er sei keine „Betroffenheitsliteratur“. Prägend war für Petrowskaja die Katastrophe im Atomreaktor von Tschernobyl 1986. Petrowskajas Eltern wanderten nach Deutschland aus, sie musste die neue Sprache lernen. Bei der Preisverleihung am Sonntag in Klagenfurt bedankte sie sich bei allen, die ihr dabei geholfen haben. Petrowskaja lebt seit 1999 in Berlin. Sie arbeitet für Kulturressorts russischer Medien (Radio Liberty, Snob), schreibt für die „FAZ“, die „NZZ“, die „Taz“. Seit 2011 hat sie in der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ (FAS) die Kolumne „Die west-östliche Diva“. Petrowskaja studierte Literaturwissenschaft in Tartu (Estland). 1994/95 ging sie mit einem Stipendium an die Stanford und die Columbia University. 1998 schloss sie mit einer Promotion in Moskau ab. Im Interview sagt Petrowskaja: „Ich möchte die Welt retten! Am liebsten würde ich ja anonym bleiben, aber dazu sage ich zu oft: ich. Schreiben ist eine Art Lebensschwäche: ein schönes, aber peinliches Bedürfnis – vielleicht wie der Stoffwechsel.“ bp
("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.07.2013)