Hochverdiente Auszeichnung für den Lemberger Paradehistoriker

Jaroslaw Hrytsak bekommt heute den „Anton Gindely-Preis für Kultur und Geschichte Mittel-, Ost- und Südosteuropas“. Eine sehr gute Wahl.

Wenn man Jaroslaw Hrytsak auf Englisch reden hört, muss man höllisch aufpassen, mitzukommen. Nicht, weil er nicht gut Englisch könnte, sondern weil er beinahe mit der Geschwindigkeit eines Schnellfeuergewehrs spricht. Aber ihm scheinen so viele Gedanken auf einmal zu einem Thema in den Sinn zu kommen, dass er sie gleich alle artikulieren will. Wer viel weiß, und Hrytsak weiß ungeheuer viel, der will es eben auch kundtun.

Hrytsak ist gewiss der interessanteste Historiker der Ukraine, sein Spezialgebiet ist die Geschichte seiner Heimat im 19. und das 20. Jahrhundert. Das bedeutet Dramatik pur. Denn wahrscheinlich kein anderes europäisches Land hat eine derart bewegte Geschichte in den vergangenen zwei Jahrhunderten durchgemacht wie die Ukraine. Überhaupt die Westukraine, wo Hrystak herkommt, ist wie kaum eine andere Region des Kontinents getränkt vom Blut Unschuldiger, die unter die Räder der diversen Diktaturen gerieten.

Er ist dabei einer, der immer über den ukrainischen Tellerrand hinausschaut, der genau beobachtet, was Wissenschaftler in den anderen Ländern über die Geschichte der Ukraine herausgefunden haben, und der das Wissen aus den verschiedenen Perspektiven verbindet.Hrytsak selbst hat bereits an den US-Eliteunis Harvard und Columbia gelehrt, ist seit 14 Jahren Gastprofessor an der Central European University in Budapest. Zu Hause ist er seit 2006 Professor an der Ukrainischen Katholischen Universität in Lemberg (Lviv).

Intensiv hat sich Hrytsak auch mit der Geschichte des österreichischen Galizien befasst, des „Armenhauses“ der österreichisch-ungarischen Monarchie. Kein Wunder, dass er auch immer wieder zu Forschungsaufenthalten und wissenschaftlichen Tagungen in Wien weilte, vor einem Jahr forschte er etwa am Institut für die Wissenschaften vom Menschen. Deshalb ist es eigentlich schon überfällig, dass der 50-Jährige eine hohe österreichische Auszeichnung erhält. Und die bekommt er heute, nämlich den „Anton Gindely-Preis 2010 für Kultur und Geschichte Mittel-, Ost- und Südosteuropas“.

Wenn Hrytsak heute nach der Preisverleihung in der Österreichischen Akademie der Wissenschaften über jüngste Wendungen in der ukrainischen Geschichtspolitik spricht, kann man sicher sein, dass das kein abgehobener historischer Festvortrag werden wird. Hrytsak schaltet sich auch in seiner Heimat stets mit offenem Visier in die tagespolitischen Diskussionen ein, vertritt mutig liberal-westliche Positionen. Genauso mutig, wie er konsequent von EU-Europa den Abbau der Schranken für ukrainische Studierende fordert. B.B.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.10.2010)

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