Fragwürdige Beschneidungsexperten

Sogenannte „Experten“, die sich zuvor niemals zu dem Thema geäußert haben, finden mit kruden Thesen Beachtung – im besten Fall Wichtigtuerei, im schlechtesten Fall eine bösartige Kampagne.

Ein Sexualmediziner warnt, dass Traumata und Störungen des sexuellen Empfindens auftreten könnten. Auch bei der Masturbation könne es zu Problemen kommen. So so. Ein Kinderarzt und -psychiater sowie ein Urologe berufen sich diffus auf angebliche wissenschaftliche Erkenntnisse. Und eine Psychotherapeutin aber Nicht-Psychoanalytikerin interpretiert Freud: Beschneidung in der frühen Kindheit könne zu Kastrationsangst führen. Ah ja.

Da hat sich ja eine großartige Truppe zusammengetan. Hat einer dieser Experten schon jemals irgend etwas zum Thema Beschneidung publiziert? Ich habe trotz intensiver Recherche keine einzige wissenschaftliche Publikation dieser „Fachleute“ zur Beschneidung gefunden. Beziehen sie sich auf Kollegen z. B. in den USA, die mit einer Population von Millionen von beschnittenen Männern zu tun haben? Nein. Noch viel schlimmer: Ich bezweifle, dass diese „Experten“ überhaupt jemals Kontakt zu Personen hatten, die beschnitten sind.

Worauf beziehen sich diese Fachleute dann überhaupt? Sie zitieren, praktisch wörtlich, aus Untersuchungen, die auf einer einzigen Homepage angeführt werden und diese hat sich deklariert dem Kampf gegen die Beschneidung verschrieben. Nur eine kurze Recherche im Internet hätte genügt, und die „Experten“ hätten eine ausführliche, fundierte wissenschaftliche Kritik an den zitierten Untersuchungen gefunden. Diese ist vernichtend: Die Zahl der Untersuchten ist lächerlich gering (10 von 95 Probanden geben gelegentliche Orgasmus-Schwierigkeiten an), sie wurden gezielt ausgesucht. Der Leiter der Untersuchung deklariert sich ausdrücklich als Gegner von Beschneidungen, die getroffenen Aussagen stimmen mit den Ergebnissen nicht überein, bzw. widersprechen völlig den sonstigen wissenschaftlichen Untersuchungen. Obwohl es nur eine Stunde braucht, die Feststellungen durch eine Recherche im Internet im besten Fall als Wichtigtuerei, im schlechtesten Fall als bösartige Kampagne zu identifizieren, berichten alle österreichischen Medien von der Pressekonferenz und geben die gleichen Zitate wieder.

Dabei sind die Fakten weitgehend bekannt: Zumindest im jüdischen Ritus wird die Beschneidung gleich nach der Geburt durchgeführt, dauert – von einem qualifizierten Beschneider durchgeführt – keine zehn Sekunden, die Säuglinge werden vorher entsprechend sediert. Die Zahl von Komplikationen ist verschwindend gering. Ein Kunstfehler bis hin zur Kastration, wie der Urologe zu berichten wusste, ist unbekannt und so wahrscheinlich wie der Fall, dass ein Kind bei der Taufe ertrinkt. Freud dachte über die gesellschaftliche Symbolisierung der Beschneidung nach, nicht über Kastrationsängste.

Nach Schätzungen der Weltgesundheitsorganisation WHO sind weltweit fast 30 Prozent aller Männer beschnitten, in den USA sind es mehr als 50 Prozent. Praktisch alle Juden, ob orthodox oder nicht religiös, lassen ihre Söhne beschneiden. Sollen das alle Kriminelle sein, denen die Qualen ihrer eigenen Kinder egal sind? Oder Menschen, „die nicht aufhören können, in den Genitalien ihrer Kinder herumzuwühlen“, wie es vor Kurzem einer der Wortführer der Beschneidungsgegner nannte. Zu diesem Anfall offensichtlicher Projektion eigener Gestörtheit und allen selbst ernannten Beschneidungsexperten lässt sich nur noch Ludwig Wittgenstein zitieren: „Wovon man nicht sprechen kann, darüber muss man schweigen.“


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Zum Autor:

Mag. Martin
Engelberg ist Psychoanalytiker, Geschäftsführer der Wiener Psychoanalytischen
Akademie,
geschäftsführender Gesellschafter der Vienna Consulting Group sowie Mitherausgeber des jüdischen Magazins „NU“.
www.nunu.at

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.08.2012)

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