Aufruf an SPÖVP: Kommt bitte endlich im 21. Jahrhundert an!

Der radikale Wandel von Wirtschaft und Gesellschaft bildet sich bei den früheren Volksparteien nicht ab. Sie verharren weiter in uralten Strukturen und Parolen.

Die SPÖ hat in ihrer Verzweiflung nach der jüngsten Wahlniederlage angekündigt, sich wieder mehr auf das zu konzentrieren, was „die Menschen draußen“ ihrer Ansicht nach beschäftigt. Ein paar Beispiele, die Ihnen sicher bekannt vorkommen:

„Bekämpfung der Wirtschaftskrise durch Konzentration der öffentlichen Arbeiten. Die Sozialdemokratie verteidigt den Mieterschutz und fordert seinen Ausbau. Gemeinnütziger Wohnungsbau durch Orts- und Gebietsgemeinden mit Zuschüssen des Staates, Widmung des vollen Ertrages der Gebäudesteuern für den öffentlichen Wohnungsbau. Förderung der Bau- und Siedlungsgenossenschaften.

Demokratisierung des Steuerwesens: Ausbau progressiver Einkommen-, Vermögen-, Erbschafts- und Luxussteuern. Höhere Besteuerung des Einkommens aus Besitz als des Einkommens aus eigener Arbeit. Weitere Verkürzung der Arbeitszeit. Gesetzliche Sicherung von Mindestlöhnen. Errichtung öffentlicher Tagesheimstätten für schulpflichtige, vorschulpflichtige und Krippenkinder. Einheitsschule: vierjährige Grundschule, allgemeine Mittelschule als Pflichtschule vom fünften bis zum achten Schuljahr.“

Diese Zitate stammen aus dem Parteiprogramm der Sozialdemokratischen Partei Deutschösterreichs von 1926, als „Linzer Programm“ in die Geschichte eingegangen. Man kann diese ewig gleichen Forderungen seit mehr als 90 Jahren als besondere Prinzipientreue oder auch als extreme Rückwärtsgewandtheit bewerten. Außerdem hätte die SPÖ in insgesamt 50 Jahren in der Regierung, in der sie 14-mal den Bundeskanzler stellte, Zeit genug gehabt, diese umzusetzen.

Angesichts dessen, dass die Federführung des derzeit in Arbeit befindlichen neuen Parteiprogramms in den Händen eines 84-Jährigen liegt, stehen die Chancen schlecht, dass es fundamental anders, also zukunftsorientiert sein wird.

Die SPÖ ist in dem Dilemma, dass sich der Anteil der Arbeiterschaft an den Erwerbstätigen auf großzügig berechnete zwölf Prozent reduziert hat. Es ist ja auch den Erfolgen ihrer früheren Politik zuzuschreiben, dass viele Arbeiterkinder den Aufstieg geschafft haben. Bloß bildet sich das in ihrer aktuellen Politik nicht ab, in der noch immer Klassengegensätze konstruiert werden.

Wo etwa steht ein Einzelunternehmer? Ist er nun Ausbeuter oder Ausgebeuteter? Für ihn engagiert sich keine Teilorganisation der SPÖ, in der die Gewerkschaften einen überproportional großen Einfluss haben, eifrig gegen Unternehmer hetzen und nach wie vor nicht begriffen haben, dass wir uns in einem globalen Wettbewerb befinden. Ein Einzelunternehmer wird sich auch in der ÖVP nicht zurechtfinden. Soll er nun zum Wirtschaftsbund oder zum ÖAAB? Beides passt nicht mehr.

Ein weiteres Beispiel: Eine Dame wohnt in einer Gemeindewohnung in Wien, die sie von ihren Eltern übernommen hat. Sie hat durch Tüchtigkeit den Aufstieg geschafft und verdient gut, mittlerweile besitzt sie zwei Vorsorgewohnungen, die sie vermietet. Ist sie nun ein Sozialfall, um den sich das rote Wien kümmern muss, oder ist sie ein böser Miethai?

Sie würde übrigens gern für ihre Gemeindewohnung mehr Miete bezahlen, aber dieses Ansinnen wurde von Wiener Wohnen abgelehnt.

Auch die ÖVP muss sich überlegen, ob sie die realen Strukturen unserer Gesellschaft noch abbildet. Wenn die Bauern bei einem Anteil von 2,5 Prozent der Erwerbstätigen mehr als 25 Prozent der ÖVP-Abgeordneten stellen, ist das sicher nicht repräsentativ. Insgesamt erscheint das Bünde- und Kammernsystem reichlich antiquiert und bildet das aktuelle Wirtschaftssystem und die Gesellschaftsstruktur nicht mehr ab.

Ein Ständesystem aus den 1930er-Jahren taugt als Fundament für eine Politik des 21. Jahrhunderts ebenso wenig wie eine Politik, die auf abgenützten Schlagworten von 1926 beruht.

E-Mails an:debatte@diepresse.comZur Autorin:

Dr. Gudula
Walterskirchen ist Historikerin und
Publizistin. Sie war bis 2005 Redakteurin der „Presse“, ist seither freie Journalistin und Autorin zahlreicher Bücher mit historischem Schwerpunkt.

www.walterskirchen.cc

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.05.2016)

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