Wenn Rot-Schwarz sich nicht leiden können, müssen Reformen sie erlösen

Seit 20 Jahren trotz wechselnder Personen die immer gleiche Walze von der „Zwangsehe“ von SPÖ und ÖVP mit freundlicher Unterstützung der „Experten“. Dann muss halt das System geändert werden.

Eine Erkenntnis aus dem politischen Gezänk vor der Volksbefragung zur Landesverteidigung  hat absolut nichts mit der Sachfrage zu tun – wie übrigens das meiste, was diese Woche dazu zu hören war.
Diese Erkenntnis wird jetzt als große Überraschung und ultimative Erklärung für das suboptimale Niveau der Wehrpflicht-/Berufsheerdebatte gehandelt: Da schau her, SPÖ und ÖVP könnten einfach nicht mehr miteinander, die Koalitionspartner würden sich wie Ertrinkende aneinander und gemeinsam an Pfründe und Macht klammern etc. Überraschung? Mitnichten! Kann sich denn niemand daran erinnern, dass das so seit mindestens zwei Jahrzehnten immer wieder vor- und nachgebetet wird? Und all diese Jahre in exakt zu berechnenden Abständen als Erklärung für Stillstand und mangelnde Lösungsfähigkeit herangezogen wurde?

Die wahren Ursachen für die politische Inkompatibilität von SPÖ und ÖVP und in der Folge für die Behinderung der Regierungsarbeit sind anderswo zu suchen.
Mit der Reduktion auf zwei, die sich halt nicht leiden können, machen es sich alle Analytiker, die vermeintlichen Experten und wir Kommentatoren zu leicht und ersparen sich/uns damit Nachdenken wie Tiefgang. Wenn Franz Vranitzky mit vier ÖVP-Chefs, die seine Partner in den Regierungen waren, nicht konnte, Wolfgang Schüssel mit Viktor Klima sowieso nicht, Wilhelm Molterer mit Alfred Gusenbauer nicht und Werner Faymann mit Michael Spindelegger nicht (Josef Pröll ist absichtlich nur eine Fußnote), dann kann es nicht an den Personen liegen. Das wäre geradezu lächerlich.
In Wahrheit liegt der Kern des allseits beschworenen rot-schwarzen Missvergnügens a) in dem Irrglauben der beiden Parteien, die Geschichte schulde der jeweils eigenen den Machterhalt und b) in einem Wahlrecht, das solche Koalitionen auf lange Zeit erzwingt. Es müsste ein Schmerzensschrei durch das Land gehen, sollten noch einmal die Begriffe „Zwangsehe“ und „keine Liebesheirat“ als Erklärung verwendet werden. Sie halten seit 1986 bis zum Überdruss für alles und jedes bei Rot-Schwarz her. Wie langweilig, wie bequem!

Lasst uns doch bitte lieber nachdenken, welche Konsequenzen zu ziehen sind. Ursachenforschung ist fällig: An den handelnden Personen kann es nicht liegen, dazu waren die Persönlichkeiten zu unterschiedlich. Daher muss es am Egoismus der jeweiligen Parteifunktionäre liegen, den Parteiobmänner oder -vorsitzende, wie man will, zu bedienen haben.

Wenn die Funktionäre nicht willens sind, die Sache vor die Partei (und somit ihre eigene Funktion, um deren Erhalt es ausschließlich zu gehen scheint) zu stellen, sind die meisten Parteichefs chancenlos. Ein System, das von innen nicht zu ändern ist (den Teufel werden die Funktionäre tun), ist von außen aufzubrechen. Das heißt mehrheitsbildendes Wahlrecht mit klarer Zuordnung der Verantwortung und Ende der Ausreden auf den jeweils anderen Koalitionspartner.

Die Republik ist keine Komfortzone von SPÖ und ÖVP zur Pflege ihrer Befindlichkeiten. Sie darauf zu reduzieren heißt Schützenhilfe zu leisten. Man muss die Diktatur der Funktionäre und des Wahlrechts überwinden, das System ändern, nicht Personen austauschen. Wer wen leiden kann oder nicht, ist unerheblich – und das seit mehr als 20 Jahren. Es reicht!


Zur Autorin:

Anneliese Rohrer ist Journalistin in Wien: Reality Check http://diepresse.com/blog/rohrer


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