Engagement im Politischen: Einer rechnet ein Jahr lang alle Personal- und Sachkosten aus; ein anderer kämpft noch länger gegen das Schuldenmachen. Es geht ja doch auch in einer „Hilft nix“-Gesellschaft.
Anders als der Dramatiker Bert Brecht in der chinesischen Provinz Sezuan benötigt man in der europäischen Provinz Österreich keine drei Götter auf der Suche nach den „guten Menschen“. Die Anforderungen sind ja auch geringer.
Es geht nicht wie bei Brecht darum, jemanden zu finden, der beweist, dass es auch in einer kapitalistischen Gesellschaft gelingen kann, „gut zu sein und doch zu leben“. Es genügt schon zu beweisen, dass es auch im Tal des Jammerns (nicht zu verwechseln mit Jammertal), also hierzulande, gute Bürger gibt, deren Engagement sich nicht darin erschöpft, den Weg zum Bezirksamt nicht zu scheuen und eventuell ein Volksbegehren zu unterschreiben. Davon dürfte es ja diese Woche wohl Hunderttausende für mehr Demokratie und weniger Kirche im Staat geben. Doch diese sind nicht gemeint.
Im Visier sind hier jene „guten Bürger“, die sich in immer größerer Zahl weigern, in das Klagelied mit dem Refrain „Nutzt nix, hilft nix, geht nicht“ einzustimmen. Sie wenden Zeit und auch Geld auf für die Bürgerbeteiligung, die sie meinen.
Da ist einmal der pensionierte Angehörige des mittleren Managements einer Bank in der Provinz Salzburg, der ein Jahr lang Banken, Landes- und Bundesstellen genervt hat, um den wahren Verwaltungsaufwand in Gemeinden, Ländern und Bund herauszufinden. Für ihn haben die veröffentlichten und öffentlichen Zahlen einfach keinen Sinn gehabt.
Was fand er nach zwölf Monaten Akribie heraus? Dass jeder Österreicher täglich 14,81 Euro für die Personal- und Sachkosten auf allen Ebenen zu zahlen hat. Das macht im Jahr 5361,22 Euro für jeden einzelnen Einwohner und somit etwa 44,7 Milliarden Euro gesamten Verwaltungsaufwand aus. Diese Rechenarbeit wird ihm niemand danken. Nachdem er aber nicht locker lässt, wird sie vielleicht einigen doch zu denken geben.
Ginge es nicht billiger? Sicher, meint der Initiator der Plattform „Verwaltungsreform–jetzt“, Wolfgang Bauer. Auch er kommt aus der Welt der Zahlen, also Banken. Auch er trommelt seit mehr als einem Jahr Entbürokratisierung und Schuldenabbau. Er verteilt Flugblätter, verfasst monatliche Newsletter, demonstriert, diskutiert und rechnet vor: Der Schuldenzuwachs im Jahr 2012 habe 22.000 Euro pro Minute betragen. Über 18.000 Unterstützern auf seiner Website gefällt das, aber eine Unterschrift ist schnell erledigt – so wie bei den Volksbegehren. Der Rest bleibt ihm.
Und da wäre die heute 73-jährige Obfrau der Aktion 21, Herta Wessely. Sie hat vor 23 Jahren bei einer Bürgerinitiative gegen die Verbauung eines Grundstücks „Blut geleckt“, wie sie einmal ihre Lust an der Bürgerbeteiligung am Politischen formuliert hat.
Begonnen hat alles in Wien als Gegengewicht zu der Unfähigkeit oder dem Unwillen der Gemeinde Wien, die Agenda 21 der UN-Konferenz von 1992 in Rio de Janeiro umzusetzen. Damals wurden entsprechende Instrumente zu mehr Bürgerbeteiligung beschlossen, um Bürger mit besserer Information verstärkt an lokalen Entscheidungsprozessen mitwirken zu lassen. Aus dem Widerstand gegen die Gemeinde Wien ist der bundesweite Zusammenschluss von Bürgerinitiativen entstanden.
Es wäre also leichter als in Brechts Theaterstück, ein guter Mensch zu sein. Wenn man nur wollte!
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Zur Autorin:
Anneliese Rohrer
ist Journalistin in Wien: Reality Check http://diepresse. com/blog/rohrer
("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.04.2013)