Wir sind alle korrupt, na und? Warum Wähler sich nicht aufregen

War das Interesse an Korruption so gering, wie eine Studie behauptet? Wenn ja, dann gibt es eine Interessengemeinschaft von Politikern und Bürgern.

Das Kreuz mit diversen Studien ist die Bereitschaft, ihre Ergebnisse zu akzeptieren, sofern sie die eigenen (Vor-)Urteile bestätigen. Nicht anders ist es mit einer Untersuchung zu den Motiven der Wähler am 29. September. Zwar war sie bei der Präsentation nicht auf Punkt und Beistrich vorgelegt worden, was man sich von einem Institut der Uni Wien eigentlich erwarten dürfte. Aber das verkündete Resultat würde ins Bild passen: Das Thema Korruption habe bei der Nationalratswahl keine große Rolle gespielt.

Wenn dem wirklich so war, würde das eine erstaunliche Kluft zwischen der echten Realität der Bürger und der „gefühlten“ der Medien ergeben. Im Sog diverser Prozesse und Verurteilungen war Korruption medial eines der großen Themen, wenn auch von der Opposition nicht mit der erwarteten Verve getrommelt.

Daraus kann man mehrere sorgenvolle Schlüsse ziehen. Korruption als eines der Hauptthemen lag nicht im Interesse der drei Oppositionsparteien. Ihre Westen sind nicht so blütenweiß, dass sie im Wahlkampf neben SPÖ und ÖVP hätten glänzen können. Also herrschte hier eine Interessengemeinschaft aller damals im Parlament vertretenen Parteien, das Thema flach zu halten.

Gleich danach kommt das „Ja, eh“-Motiv. Alle Politiker sind korrupt, ja eh! Politik als solches ist eine schmutzige Sache, ja eh! Das wird sich nie ändern, ja eh! Der Grad der Abstufung im korrupten Verhalten taugt dann auch nicht mehr als Entscheidungshilfe beim Wahlverhalten.

Am ehesten aber ist das Desinteresse der Wähler daran, ob es in einer Partei mehr, in der anderen weniger korrupt zugeht, im Eigennutz begründet. Es könnte ja sein, dass man selbst einmal in den Genuss von Handlungsweisen kommt, die bei strengster Auslegung des Begriffs ebenfalls als korrupt eingestuft werden könnten. Da können die Grenzen schon verschwimmen. Gewiss, die Intervention, die man für sich oder ein Familienmitglied von einem Politiker einfordert, ist meilenweit von den hunderttausenden Euro für Parteien, Politiker oder parteipolitische Zwecke entfernt. Kein Vergleich, sicher, aber auch kein wirklicher Unterschied. Überspitzt formuliert, kann man auch hier eine Interessengemeinschaft von Bürgern und Politikern erkennen. Beide sind traditionell auf den eigenen Vorteil bedacht. Vielleicht hält ein Restschamgefühl über das eigene Verhalten viele Wähler davon ab, Korruption bei anderen als Übel zu verurteilen. Wir sind doch alle korrupt, na und?

Mit dieser Einstellung bekommt Österreich allerdings ein demokratiepolitisches Problem. Noch eines! Die Gelassenheit der Wähler bei einem bestimmten Thema wird von den machthabenden Politikern meist so interpretiert: Das interessiert niemanden, daher gibt es keinen Handlungsbedarf. So sind SPÖ und ÖVP zuletzt mit dem ganzen Demokratisierungsthema verfahren.

Am schlimmsten aber sind die Ausreden. Im Vergleich zur Vergangenheit wird korruptes Verhalten heute stärker verfolgt. Das ist gut so! Wenn aber die zunehmende Kriminalisierung von Politik und Wirtschaft als Vorwand dafür verwendet wird, sich keinesfalls für ein öffentliches Amt oder eine exponierte Managerfunktion zur Verfügung zu stellen, dann wird demokratiepolitisch und wirtschaftlich das Gegenteil erreicht. Wer will schon in ein Betätigungsfeld treten, in dem er sich ständig mit einem Fuß im Kriminal wiederfindet? Ergo wird die Personalauslese noch kümmerlicher, als sie ohnehin schon ist. Wirtschaftlich sind die Folgen noch schlimmer: Aus Angst, irgendwann irgendetwas einmal „angehängt“ zu bekommen, werden Entscheidungen immer kleinmütiger oder gar nicht getroffen.

Notwendig wäre so etwas wie ein ethischer Kassasturz: Welche Praktiken, waren in der Vergangenheit Usus und stellen sich erst jetzt unter geänderten Umständen und Sensibilitäten als korrupt dar? Was kann verantwortet werden und was nicht? Die neuen Regeln müssten allen klar sein und für alle gelten – Bürger wie Politiker und Manager.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

Zur Autorin:

Anneliese Rohrer
ist Journalistin in Wien: Reality Check http://diepresse. com/blog/rohrer

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.11.2013)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.