Die Kunst der Verstellung: Haider liberal, Faymann mutig

Ulrike Haider rückt ihren Vater dorthin, wo sie ihn haben will. Warum also nicht auch über den „wahren“ Andreas Mölzer oder Michael Spindelegger diskutieren?

Wie konnte das geschehen? Fast 20 Jahre lang haben die meisten Medien, alle anderen Parteien und die gesamte Bevölkerung Jörg Haider, den FPÖ-Chef, den Landeshauptmann, den Sprücheklopfer völlig falsch gesehen. Der „wahre“ Haider sei ganz anders gewesen, sagt nun seine Tochter Ulrike im Interview mit „Profil“. Sie ist Spitzenkandidatin des noch irgendwie existierenden BZÖ für die EU-Wahl.

Von 1986 bis 2005 (BZÖ-Gründung) haben wir Jörg Haider also ungerecht betrachtet, beschrieben und beurteilt? Wie konnten wir nur so lange übersehen, dass er in Wahrheit ein „sehr liberaler“ Politiker war, dem die Verharmlosung des Nationalsozialismus als Thema nur „umgehängt“ worden sei, der nur eine „Rolle gespielt“ habe, der immer aus einer „liberalen Position heraus operiert hat“? Erst von 2005 bis 2008 „war er der Haider, der er wirklich war“, meint seine Tochter. Deutschnationale Ausgrenzung der Slowenen in Kärnten? Nichts als „Tagespolitik“! Harte Sprüche? Nichts als ein Mittel, um Aufmerksamkeit zu erzielen!

Nimmt man Ulrike Haider beim Wort, was wahrscheinlich auch schon wieder so ein Fehler wäre, heißt das nichts anderes: Jene, die Haider wegen seiner Nazi-Signale gewählt haben, wurden ebenso getäuscht wie jene, die ihn deshalb verurteilt haben. Also alle. Die „liberalen Positionen“, von denen aus er agiert haben soll, hat er so gut versteckt, dass sie weder rechte FPÖ-Sympathisanten noch Kritiker erkennen konnten.

Radikales Umdenken ist angesagt: So müsste zum Beispiel Ulrike Haider ihr Urteil über Andreas Mölzer, ihren FPÖ-Konkurrenten bei der EU-Wahl, und dessen „rassistische Aussagen“ völlig revidieren. Der „wahre“ Mölzer agiert ja nur von einer ironisierenden Position heraus. „Bagatellisierung eines totalitären Regimes“? Der „wahre“ Mölzer ist ja nur ein Statistiker, der die Zahl der Verbote und Gebote des liberaleren NS-Regimes jenen der EU gegenübergestellt habe und nichts über die „Qualität“ der NS-Gesetze (wie Rassengesetze) aussagen wollte. Warum will dann Ulrike Haider mit dem wahren Mölzer, dem Statistiker mit Hang zu Ironie, nichts zu tun haben?

Oder: Der „wahre“ Heinz Christian Strache ist eigentlich ein ausgeprägter und sensibler Intellektueller, der sich seit nunmehr fast neun Jahren die Rolle des auf ewig gleicher Tonlage Schreienden nur umhängen lässt. Zumindest sei er aber so intelligent wie Mölzer, was allerdings noch nie jemand behauptet hat.

Der „wahre“ Strache sieht die EU sehr differenziert. „Räuberbande“? Nichts als starke Sprüche zwecks Aufmerksamkeit! Zusammenarbeit mit Rechtsparteien aus ganz Europa, mitunter auch radikal rechten? Nichts als Tagespolitik. Der „wahre“ Strache liebt die EU und sei's nur wegen des Anschlusses an Deutschland. Alles andere ist innenpolitisches Kleingeld. So viel Verstellung wird ja wohl noch erlaubt sein.

Das eröffnet für Politiker generell ungeahnte Möglichkeiten. So kann alles relativiert werden, was vor allem in Österreich immer einen gewissen Charme hat.

Irgendwann werden wir wissen, dass der „wahre“ Werner Faymann immer von einer mutigen Position aus als Bundeskanzler agiert hat. Jetzt ist er reformunfreudig, entscheidungsschwach und lösungsscheu? Alles nur eine Rolle, die er spielt. Er ist extrem parteiorientiert und dem Staatsganzen gegenüber gleichgültig? Nur weil ihm die SPÖ das so umgehängt hat. Sonst hätte er natürlich seit 2009 darauf geachtet, dass das Hypo-Desaster wenigstens handwerklich sauber abgearbeitet worden wäre. Der „wahre“ Faymann hätte sich nicht hinter Taskforce und Maria Fekter versteckt.

Auch Vizekanzler Michael Spindelegger machte in den letzten Jahren in der Causa Hypo Parteipolitik pur zum Schaden Österreichs, nur um die Steuerzahler nicht zu beunruhigen. Der „wahre“ Spindelegger hätte die Wirtschaft entfesselt, was jetzt leider nicht geht.

Das wahre Ich zu verbergen ist anstrengend. Da wird man doch von Kritikern noch Milde verlangen dürfen.

Emails an: debatte@diepresse.com

Zur Autorin:

Anneliese Rohrer
ist Journalistin in Wien: Reality Check http://diepresse. com/blog/rohrer

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.04.2014)

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