Neubau der Republik mit sanften Reformen und neuer Verfassung

Beim Ruf nach dem großen Wurf stellen sich Politiker wie Bürger taub. Die Sprache der Medien wird immer gröber. Was hat's gebracht? Andere Methoden müssen her.

Für einen Hitzekoller ist es zu früh. Die Temperaturen reichen dafür noch nicht aus. Daher ist das Folgende ernst gemeint und keineswegs einem Naivitätskoller geschuldet: Österreich muss neu aufgestellt werden. Und die Medien müssen ihren Teil dazu beitragen.

Seit nunmehr mindestens acht Jahren – freundlich geschätzt – lassen wir Journalisten verlauten, wie dumm und dämlich die Regierenden agieren; wie feig und inkompetent viele sind, von der Spitze abwärts. Die Sprache wird immer gröber, die Urteile immer eintöniger. Was hat das eigentlich gebracht? Eine Verbesserung des politischen Personals? Sicher nicht. Eine andere Art von Politik? Schon gar nicht!

Was hat diese Art der Beurteilung für einen Sinn, auch wenn sich Politiker große Mühe geben, die medialen Vorurteile zu bestätigen? Wenn aber die permanente Abqualifizierung so erkennbar erfolg- und wirkungslos ist, wäre es an der Zeit, es anders zu versuchen.

So vielleicht: Mit einem totalen Umbau der Republik in ganz kleinen Schritten. Beginnen müssten die Parteien als Träger des Politischen bei sich selbst. In einem ersten Schritt sollten sie den Selbstbedienungsladen Staat zusperren. Wenn die staatliche Basisfinanzierung erhöht werden muss, dann nicht heimlich wie es jüngst versucht wurde, sondern offen und rechenschaftspflichtig. Dann folgt die Abschaffung des „Schutzgeldes“ für ein politisches Mandat und/oder eine Funktion, auch als Parteisteuer bekannt. Sie begründet nämlich ein für die Demokratie ungesundes Anspruchsdenken der Mandatare, die ja ihren Wählern verpflichtet sein sollen, und liefert willkommene Ausreden für alles Mögliche bis hin zur Kleinkorruption.

Parteien, in denen es für ihre einzelnen Vertreter nicht mehr nur um den Erhalt der eigenen Funktion geht, können eher den Umbau, auch in anderen Bereichen, angehen. Jetzt werfe niemand ein, das sei unrealistisch, weil in Österreich immer irgendwer vom jetzigen System profitiert. Man nehme nur das Beispiel der Zusammenlegung der 22 Sozialversicherungsträger stellvertretend für alles andere: Vor etwa 20 Jahren hatte der damalige FPÖ-Chef Jörg Haider dies unablässig gefordert – sehr zum Zorn von SPÖ und ÖVP. Heute erhebt der Präsident der Bundeswirtschaftskammer, Christoph Leitl, die gleiche Forderung: Aus 22 mach drei oder so.

Der Abbau der überbordenden Sozialbürokratie ist also machbar. Es ist bezeichnend, dass Haider nach Regierungseintritt der FPÖ davon nichts mehr wissen wollte, weil er die 22 Sozialversicherungen für sich als bequeme Versorgungsanstalten entdeckt hatte. Aber wenn ein Kammerfunktionär wie Leitl – und sei es wegen einer Kammerwahl – umdenken kann, dann haben sich die Zeiten geändert. Dem muss in einem Bereich nach dem anderen Rechnung getragen werden. In der Wirtschaft etwa: Es darf nicht länger ums Verhindern oder Erlauben, sondern ums Ermöglichen gehen. Das führt direkt zu weiteren Reformen und landet bei einer Neuorganisation des gesamten Bildungswesens. Ziel kann da wie dort nur die Zukunftsfähigkeit sein. Der Rest ist mühsames Backen kleiner Reformbrötchen.

Das sind nur wahllos herausgegriffene Beispiele, die Methode wäre aber überall ähnlich: Die Organisation eines kompletten Republikneubaus. Was heute unrealistisch scheint, könnte morgen Wirklichkeit werden – siehe Sozialversicherung oben. Wichtig ist, dass Entscheidungen richtig oder falsch, nicht – wie zuletzt bei der Hypo behauptet – nur schnell sind. „Speed kills“ war schon einmal ein Flop.

Da der Ruf nach dem großen Wurf seit jeher bei Politikern und Bürgern auf taube Ohren stößt, muss die Methode geändert werden. Change Management, sozusagen. Am Ende einer sanften Reformära steht eine neue Bundesverfassung. Die Bürger müssen darüber abstimmen. Das wäre dann ihre Verfassung statt des Konvoluts von jetzt, das allen gleichgültig ist. Erforderlich ist nur ein kühler Kopf – in Politik und Gesellschaft.

E-Mails an:debatte@diepresse.com

Zur Autorin:

Anneliese Rohrer
ist Journalistin in Wien: Reality Check http://diepresse. com/blog/rohrer

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.07.2014)

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