Das Ende der Nutzt-nix-Gesellschaft: Eine Lektion für Mieselsüchtige

Eine einmalige Situation ermöglicht die U-Ausschuss-Reform: geeinte Opposition, engagierte Öffentlichkeit und Regierung auf Suche nach Zweidrittelmehrheit.

Ein guter Tag beginnt mit einem kräftigen Lebenszeichen einer Zivilgesellschaft mit traditionellem Hang zur Apathie. Nach der Einigung von Regierungs- und Oppositionsparteien auf das Recht der Minderheit im Nationalrat, Untersuchungsausschüsse einzusetzen, war am Freitag ein solcher Tag. Er hat die Wähler mehr zu interessieren, als es sich vielleicht auf den ersten Blick erschließt.

Natürlich kann man beim U-Ausschuss neu etliche Haare in der Suppe finden, wenn man will. Nicht heute. Denn die Einigung nach jahr(zehnt)elangem Taktieren und Hinhalten ist einfach der höhere Wert im Vergleich zu Details, die ja noch repariert werden können.

Warum eigentlich? Weil damit all den politisch Mieselsüchtigen im Land eine Lektion erteilt wurde. Ihre normale Reaktion auf Aufforderungen jeglicher Art, sich doch in öffentliche, also eigene, Angelegenheiten einzumischen, lautet mehrheitlich: Sinnlos, nutzt eh nix, vergeudete Zeit und was es an Schutzbehauptungen für die eigene Lethargie noch so alles gibt. Bei jeder Diskussion, bei jeder Runde immer das gleiche Lied!

Die Reform der parlamentarischen Kontrolle – zu spät für eine entwickelte Demokratie, gewiss – wäre aber ohne die 263.000 Unterschriften für die Einsetzung eines Hypo-Untersuchungsausschusses auch jetzt nicht gekommen. Damit ist der Beweis geliefert, dass sehr wohl mit Beteiligung Einzelner etwas zu erreichen ist, sofern die Zahl eine für Politiker kritische Masse erreicht. Das ist eben das Gesetz der vielen Einzelnen. Damit müsste ab sofort der Weg in die demokratiepolitische Gleichgültigkeit versperrt sein. Kein Bürger, der sich stundenlang über etwas Politisches aufregen kann, ohne selbst auch nur einen Finger zu rühren, hat jetzt eine Ausrede mehr: Zwecklos!

Ist die Zivilgesellschaft in Österreich endlich aufgewacht, wenn es um demokratiepolitische Spielregeln und den Ausbau des Parlamentarismus geht? Nicht über Nacht, wahrscheinlich. Aber vielleicht beginnt es ihr zu dämmern, dass sie mehr erreichen kann, als sie glaubt, wenn sie nur will. Dann würde die Einigung über die Tagespolitik hinaus wirken.

Natürlich ist sie in diesem Fall einer ganz speziellen Situation geschuldet und wäre ohne diese höchstwahrscheinlich noch immer nicht möglich gewesen. Auf Vernunft und Einsicht bei SPÖ und ÖVP allein zu vertrauen wäre naiv und verbietet die Erfahrung. Drei Komponenten waren vorhanden, und sie waren in ihrer Kombination kraftvoll: geeinte Oposition, verärgerte Öffentlichkeit und eine Regierung in Zwangslage – weil ohne Verfassungsmehrheit und auf eine Oppositionspartei angewiesen. Geht ja doch!

Mit beiden Beinen auf dem Boden der österreichischen Realität bleibend, ist klar, dass sich so ein Zusammentreffen mehrerer Faktoren so schnell nicht wiederholen wird. Klar ist auch, dass es eine solche Doppelallianz zwischen FPÖ, Grünen, Neos und vielleicht auch einmal Team Stronach (wozu wäre es sonst im Nationalrat?) und zwischen diesen Parteien und der Öffentlichkeit in anderen Bereichen nicht oft geben wird.

Das ist aber auch nicht ausschlaggebend. Der springende Punkt: Der einzelne Bürger sieht, dass seine Beteiligung nicht vergeblich sein muss. SPÖ und ÖVP können nicht länger behaupten, Demokratie interessiere nur eine verschwindende Minderheit, weshalb man sie gefahrlos ignorieren kann. Auch eine Minderheit kann etwas erreichen, wie sich zeigt.

Natürlich wäre es wünschenswert, könnte ähnlicher Druck – via Bürger und Medien etwa – für die Einführung eines Mehrheitswahlrechts aufgebaut werden, um den lähmenden Koalitionskrampf, gegenseitige Schuldzuweisung inklusive, zu beenden. Doch da spielen die kleinen Oppositionsparteien nicht mit, weil sie gut vom jetzigen System leben.

Fürs Erste genügt es, die Mieselsüchtigen in die Schranken gewiesen zu haben. Es gibt viele „kleine“ Themen, die sich zur Nachahmung empfehlen. Bürgerbeteiligung kann man üben.

E-Mails an:debatte@diepresse.com

Zur Autorin:

Anneliese Rohrer
ist Journalistin in Wien: Reality Check http://diepresse. com/blog/rohrer

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.07.2014)

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