Entspannt euch, Ladys! Setzt bitte andere Zeichen als das I

Sexistischen Bemerkungen offen entgegentreten, bei Belästigungen einschreiten, einander fördern statt behindern: Das wäre ein geschlechtersensibler Umgang.

Zur Frage „I oder nicht I“ in einem Wort hat jeder eine Meinung. Auch 800 Universitätsprofessoren, Lehrer und Journalisten in einem offenen Brief. Mehr haben die Frauen von der Unter-Ober-Querstrich-Klammer-Binnen-I-Fraktion nicht gebraucht.

Das Ende des Feminismus wurde heraufbeschworen, die „Unsichtbarkeit“ der Frauen in der Gesellschaft, der Versuch der Männer, Frauen wieder verschwinden zu lassen auch! Alles zusammen ergibt eine sterile Sexismusdebatte, gesellschaftspolitisch überfrachtet und für die Lebensrealität der Mehrheit der Frauen völlig unerheblich.

Deshalb hier ein paar Vorschläge für alle Frauen, die sich in ihrer Empörung am Binnen-I hochranken, wie sie andere Frauen wirklich sichtbar machen, Sexismus längerfristig zurückdrängen und viel eher das erreichen könnten, wofür sie angeblich kämpfen: Selbstwertgefühl und Selbstbewusstsein.

So könnten sie in Zukunft der Versuchung widerstehen, andere Frauen zu denunzieren, und/oder entsprechenden Gerüchten offen entgegentreten. Immer wieder, auch unter den jüngeren Frauen, hört man, wie die eine oder andere Karrieremöglichkeit einer Konkurrentin eben „dem Bett“ zugeschrieben wird. Solchen Praktiken ein Ende zu bereiten, wäre das Engagement aller jetzt ach so Aufgeregten wert. Sie sind entwürdigend – viel mehr als die Nichterwähnung der weiblichen Form eines Begriffs. Denkt um, Ladys!

Sexistischen Bemerkungen von Männern, auf welcher Stufe der Hierarchie immer, sollten Frauen hörbar und offensiv entgegentreten – wenn diese sie selbst betreffen oder andere Frauen. Statt zu kichern wäre eine Zurechtweisung gefordert. Das würde den davon betroffenen Frauen auch mehr helfen als jede „geschlechterkorrekte Sprache“, wovon nämlich die schwächeren Frauen in ihrem Alltagsleben genau nichts haben.

In den USA wurde eben die Initiative „YouokSis“, was so viel heißt wie: „Alles ok bei dir, Schwester?“ ins Leben gerufen. Frauen sollen bei sexueller Belästigung – vom anzüglichen Pfeifen über zweideutige Witze bis zu körperlichen Übergriffe – nicht länger danebenstehen oder wegschauen, sondern aktiv einschreiten: In unseren Breitengraden würde schon der Mut genügen, dem betreffenden Mann zu sagen: „In den USA müssten Sie dafür vor Gericht.“ Ihn auf diese Weise zu blamieren, bringt Frauen ebenfalls mehr als die ganze I-Debatte. Es würde aber auch mehr Courage erfordern.

Vor allem die Arbeitswelt bietet unendlich viele Möglichkeiten, Frauen vorm Verdrängen und Verschwinden zu retten. Das beginnt schon bei der gegenseitigen Beurteilung. Die frühere Chefredakteurin der „New York Times“, Jill Abramson, spricht in einer Interview-Offensive von der Doppelmoral im Berufsleben: Bei gleicher Verhaltensweise gelten Männer als „führungsstark und durchsetzungskräftig“, Frauen wie sie selbst als „schrill und zu hart“. Gefeuert wurde Abramson, weil sie angeblich zu „penetrant und aggressiv“ war. Nur Frauen, die noch nie so über andere Frauen geurteilt, oder die Männer deshalb zur Rede gestellt haben, dürfen jetzt das Binnen-I (und die Töchter der Hymne) für das Wichtigste in Sachen Gleichberechtigung halten.

Auch würde es viel ändern, würden Frauen sich gegenseitig im Berufsleben nicht behindern, sondern fördern; würden sie andere beim Wiedereinstieg in den Beruf nicht entmutigen, sondern ermuntern. Wir reden hier von Alltagsgeschichten. Diese werden im Leben anders geschrieben als in feministischen Zirkeln. Und wenn schon die Sprache wichtig ist, dann auch jene, mit der Frauen über Frauen reden (siehe oben). Da ist vieles verbesserungswürdig.

Es besteht der Verdacht, dass manche Frauen sich so über einen Buchstaben aufregen können, weil sie die eigenen Verhaltensweisen anderen Frauen gegenüber nicht reflektieren wollen. Hinter einer hochtrabenden Theorie kann sich manche(r) so gut verstecken wie hinter einem offenen Brief.

E-Mails an:debatte@diepresse.comZur Autorin:

Anneliese Rohrer
ist Journalistin in Wien: Reality Check http://diepresse.com/blog/rohrer

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.07.2014)

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