Anschlag auf das Image der Justiz Lasst uns über Richter reden!

Die Diskussion um die Verurteilung von Josef S. wird via Social Media nicht verstummen. Justizminister Brandstetter kann Lehren daraus ziehen.

Justizminister Wolfgang Brandstetter kam an dieser Stelle hier in kurzer Zeit schon öfter als andere vor. Das kann fast als Kompliment gesehen werden. Der Grund ist allerdings nicht, dass er irgendwelche bahnbrechenden Vorhaben umgesetzt hätte. Vielmehr waren seine Vorgängerinnen von Gnaden der ÖVP, Claudia Bandion-Ortner und Beatrix Karl, Maria Berger von der SPÖ, Karin Gastinger von Jörg Haiders Gnaden, nicht satisfaktionsfähig und haben ihm einen Bereich hinterlassen, dessen Vernachlässigung nun aufbricht.

Bevor heute, Samstag, um 18 Uhr auf dem Wiener Stephansplatz bei einer Protestdemonstration gegen den Schuldspruch für Josef S. eine dieser Bruchstellen sichtbar wird, zwei Feststellungen zur Vermeidung von Missverständnissen: 1. Gerichte und Richter sind unabhängig. Es gibt den Instanzenzug gegen Urteile. Einmischung von Politikern ist massiv entbehrlich. 2. Das Vertrauen der Bürger in die Objektivität der Justiz ist wichtiger als ihr Vertrauen in die Politik.

Der Fall Josef S., Demonstrant aus Jena, verbindet beide Punkte, auch wenn sich so mancher heute bei der von der Österreichischen Hochschülerschaft geplanten Demo wieder über die „Linken“ aufregen wird. Der unabhängige Richter sprach Josef S. „Schuldig aus Mangel an Beweisen“ (© Spiegel Online). Dass davon und von der Tatsache, dass dem Beschuldigten nichts eindeutig und über alle Zweifel erhaben nachgewiesen werden konnte, überhaupt die Rede sein kann, muss als Anschlag auf das Image der Justiz gewertet werden und Brandstetter auf den Plan rufen.

Nicht, um die Unabhängigkeit der Gerichte einzuschränken, sondern um sich ernsthaft Gedanken über die Qualität des Richterpersonals, sein Verhalten Beschuldigten gegenüber und die fachliche Kompetenz zu machen. Als vor Jahren eine Gruppe von Studenten eine Verhandlung im Bawag-Prozess und das Agieren Claudia Bandion-Ortners als Richterin beobachtete, meinte einer von ihnen, wie schon einmal berichtet: „Und das ist die österreichische Justiz?“

Brandstetter sollte sich eine Gesamtschau aller Kritikpunkte an Richtern und Staatsanwälten verschaffen. Vom Tierschützerprozess bis jetzt zum Verfahren gegen den Sprayer Puber, bei dem laut Bericht die Arbeit der Staatsanwaltschaft unpräzise und lückenhaft war. Dann könnte er daraus seine Schlüsse für Qualitätssicherung und Ausbildung ziehen.

Wenn vor Gericht der Eindruck entsteht, der vorsitzende Richter ist an der Wahrheitsfindung gar nicht interessiert (auch wenn am Ende ein berechtigter Schuldspruch herauskommt), dann kommt Punkt 2, das Vertrauen in die Justiz, ins Spiel. Es ist sicher nur ein bösartiges Gerücht, dass der Richterberuf eine Art „geschlossene Gesellschaft“ ist, zu der man nur mit den richtigen Verbindungen Zugang erhält. In einem Klima wachsenden Misstrauens scheinen aber gefährlich viele Menschen sofort bereit zu sein, solche Gerüchte zu glauben.
Es ist schon kurios, dass in gewisser Hinsicht die Justiz- mit der Schulpolitik zu vergleichen ist.

In beiden Politikfeldern ist klar, dass nicht die Strukturen das Wichtige sind, sondern die Qualität des Personals. Schulen kann man noch so lange reformieren, sie werden nie besser als ihre Lehrkräfte ohne genügend pädagogische und fachliche Fähigkeiten in den Klassenzimmern. Und diese sind eine Sache der Ausbildung und der Auswahl. War die Lehrerausbildung in den vergangenen Jahren ein Hauptthema in der Bildungspolitik? Nein! Da sei die Gewerkschaft vor.

War die Aus- und Weiterbildung der Richter ein Thema? Wurde etwa eine durchgehende Supervision im Gerichtssaal diskutiert? Da sei die Richtervereinigung vor. Richter sind – siehe Vertrauen – zu wichtig, um sakrosankt zu sein.

Brandstetter könnte sich dieser Fragen annehmen – um härtere Strafen für Hass-Postings (nur weil kürzlich zwei Politiker betroffen waren) kann er sich später kümmern.

E-Mails an:debatte@diepresse.com

Zur Autorin:

Anneliese Rohrer
ist Journalistin in Wien: Reality Check http://diepresse. com/blog/rohrer

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.07.2014)

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