Positionswechsel und Umdenken in der Politik sind keine Schwäche

Die Trauerfeierlichkeit für Präsidentin Prammer sollten Mitglieder des Nationalrats zum Anlass nehmen, über ihr eigenes Verhalten gründlich nachzudenken.

Österreich kann sich heute, Samstag, in welcher Form immer von Nationalratspräsidentin Barbara Prammer verabschieden. Jedem einzelnen der anwesenden 183Mandatare und– als Reverenz gegenüber Prammer ausdrücklich gegendert – jeder einzelnen Abgeordneten würde es gut anstehen, sich bei der Trauerfeier zu fragen, ob er/sie mit seinem/ihrem Verhalten im Hohen Haus den Bemühungen Prammers auch wirklich gerecht geworden ist.

Wohl kaum. Nur ein Beispiel: Vor drei Jahren im April 2011 hatte die Oberösterreicherin, die sich so auffällig von der Parteisoldatin zur Präsidentin gewandelt hat, ein sehr ambitioniertes Projekt: Mit der Veranstaltungsserie „Österreich morgen – Welche Gesellschaft wollen wir?“ sollten alle relevanten Zukunftsthemen aufgegriffen werden – nicht für irgendein Publikum von außen, sondern vor allem für alle 183 Mitglieder des Nationalrats.

Diese sollten sich über die Parteipolitik hinaus über Sachthemen informieren, sich Gedanken über das machen, was kommen könnte; ein paar Stunden in regelmäßigen Abständen Denk- und Nachdenkarbeit leisten, Fragen stellen und in einen sachlichen Diskurs eintreten können. Auf dem Podium ein Experte und Vertreter jeder der (damals noch) fünf Fraktionen.

Von Beginn an war klar: Kaum ein aktiver Mandatar, kaum eine Abgeordnete hatte Interesse, anderes oder Neues zu erfahren. Das Publikum bestand zu 99Prozent aus pensionierten Politikern und/oder anderen Interessenten mit ganz großem Freizeitguthaben. Es war deprimierend. Das Bedürfnis der Fraktionen, auch Prammers eigener SPÖ, nach Information über das gängige parteipolitische Hickhack hinaus, tendierte gegen null. Oder war gleich null.

Nach der zweiten Veranstaltung dieser Art, bei welcher der Altersdurchschnitt im Publikum auch durch Prammers junge Mitarbeiterinnen nicht wesentlich gedrückt werden konnte, war Schluss.

Aber selbst im Scheitern war Prammer ihren Kollegen und Kolleginnen voraus: Sie hatte die sachliche Qualität der Debatten mit Zusatzinformationen, die nur hätten abgeholt werden müssen, verbessern wollen. Das Angebot wurde ignoriert. Prammer dachte um.

Und auch über diese Fähigkeit zum Umdenken sollte sich heute während der Trauerreden der/die eine oder andere am Wiener Ring den Kopf zerbrechen. Das Problem vieler PolitikerInnen sind der Unwille und die Unfähigkeit, einen Positionswechsel einzugestehen. Selbst wenn sie umdenken und heute nicht mehr vertreten, was sie vor Jahren auf ihre Fahnen geheftet haben, so gibt es kaum jemanden in der politischen Nomenklatura, der dies auch offen und ehrlich zugeben würde.

Lieber vertuscht und verwischt man wortreich den eigenen politischen und gedanklichen Entwicklungsprozess, bevor man zugibt, jetzt eine andere Sicht zu haben als früher. Das eine oder andere Gegenbeispiel gibt es, aber es bestätigt nur die Regel. Also nicht die Änderung der eigenen Meinung ist das Problem, sondern das Verschleiern dieser Änderung.

Die Angst vor Schwäche frisst so die Glaubwürdigkeit auf. Bis zum Beweis des Gegenteils steht aber fest: Die Furcht ist unbegründet, die üblichen Vertuschungsaktionen sind aufwendig und sinnlos. Denn das Bedürfnis der Wähler nach Authentizität wird immer größer. Da kann also ein Politiker/eine Politikerin nicht Schaden nehmen, wenn er/sie zugibt: Ich stehe heute aus diesem und jenem Grund wo anders als früher. Die Wähler würden die Geschichte ihres Umdenkens sicher gern hören – lieber jedenfalls als die Phrasen, mit denen der Positionswechsel verwischt werden soll.

Nur keine Sorge, meine Damen und Herren, wenn sogar schon ÖVP-Klubchef Reinhold Lopatka jüngst gemeint hat, wer nicht umdenken wolle, der stehe im Eck, dann sind neue Zeiten angebrochen. Nehmen Sie ihn beim Wort, wenn Sie sich von der Parteilinie (jeder) wegbewegen. In memoriam Prammer! Wenigstens.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

Zur Autorin:

Anneliese Rohrer
ist Journalistin in Wien: Reality Check http://diepresse. com/blog/rohrer

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.08.2014)

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