In Zeiten der verwirrten Gefühle sind Wahlen ein Segen – noch

Überall in Europa brechen Emotionen auf. Gut, wenn sie sich in Abstimmungen bemerkbar machen. Schlecht, wenn Politiker sie nicht bald wirklich ernst nehmen.

Sich mit zwei burgenländischen Gemeinderäten der ÖVP zu beschäftigen, die dumm genug waren, sich vor fünf Jahren in der Gesellschaft von Puppen in Nazi-Uniformen und Ähnlichem filmen zu lassen, geht gar nicht, obwohl die Empörung hochschwappt. Die Frage ihrer oder ihres Gastgebers Wiederbetätigung ist zu untersuchen – und basta! Sich mit dem wunschlosen Unglück der SPÖ wegen der Mandatsvergabe in Oberösterreich nach dem Tod von Barbara Prammer zu befassen, geht auch nicht, obwohl die Aufregung groß ist?

Schon eher, aber auch nur deshalb, weil die SPÖ-Führung das Thema nicht mehr loswerden wird und die Parteiführung den Unmut der Frauen allen Anschein nach grob unterschätzt. Bis zum Parteitag im November wird sie lernen müssen, mit jenen Emotionen umzugehen, die sie unterdrücken möchte.

Wirklich interessant sind die Emotionen in der Politik jenseits des österreichischen Tellerrands. War die Entscheidung der Schotten, a)eine Volksabstimmung durchzuführen und dann b)für den Verbleib in der Union mit England zu entscheiden, ein Sieg der Vernunft oder ein Ergebnis von Emotionen? Führte der Drang nach Unabhängigkeit oder die Wut auf London zum Referendum oder eher die kühle Kalkulation materieller Vorteile? Ist das Ergebnis Ausdruck von Rationalität oder von Sehnsucht nach Sicherheit?

Wie auch immer, sicher ist nur, dass der Emotionspegel in Europa ansteigt. Die Bürger sind wütend, unzufrieden, verunsichert – und lassen all diesen Gefühlen freien Lauf. Gut, wenn es in demokratischen Bahnen passiert, wie in Schottland oder Schweden oder bei den jüngsten Landtagswahlen in Deutschland.

Da wir aber nach wie vor nur gewohnt sind, in Rechts/Links-Schemata zu denken, werden Wahlentscheidungen wie in Schweden oder Deutschland medial sofort alarmistisch als Rechtsruck verkauft. Die emotionale Befindlichkeit der Bürger interessiert weniger.

Oder ein ganz anderes Beispiel, das in den vergangenen Tagen in Europa mehr Aufmerksamkeit verdient hätte: Der ukrainische Präsident Petro Poroschenko berichtete laut „Süddeutscher Zeitung“ der EU von Drohungen Wladimir Putins, um deutlich zu machen, wie emotional der Präsident Russlands reagiere. Da überrascht es auch nicht, dass Poroschenko bei seinem Besuch in den USA den Krieg in der Ukraine emotional in den Rahmen eines neuen Ost-West-Kriegs gestellt hat. Wegen der Ukraine hieße es USA/Europa gegen Russland. Das mag so sein, doch die Vernunft würde eine andere Rhetorik gebieten.

Da wird man stark an einen Satz des umstrittenen Friedensnobelpreisträgers und US-Außenministers der 1970er-Jahre, Henry Kissinger, erinnert: Emotionen in der Politik hätten gar keinen Zweck. Am wenigsten sei mit ihnen Frieden zu erreichen, ein Abkommen also. Das politische Spiel mit und die Manipulation von Emotionen hat es immer gegeben. Allein, der Hinweis auf Vergangenes hilft uns nicht weiter. Es geht um das Hier und Jetzt, also die Welt, die wir haben, nicht um die, die war oder wir uns wünschen.

Und hier und jetzt hat sich etwas geändert: Die Kluft zwischen der politischen Führung und Bürgern ist zu groß. Politiker nehmen die Bürger kaum mehr wahr, diese wiederum „fliehen“ vor einem politischen Establishment, das in ihren Augen versagt hat. Vernunftgetriebene Wahlentscheidungen in westlichen Demokratien werden selten.

Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass wir in Zeiten, in denen wir Terror, Jihadismus und Verblendung auf die versäumte Aufklärung der anderen zurückführen, im Politischen selbst wieder mehr auf Emotionen zurückfallen. Noch können wir uns glücklich schätzen, in der westlichen Demokratie das Ventil der Wahl- oder Volksentscheidung zu haben. Eine Bestandsgarantie dafür gibt es nicht. Es wird Zeit, dass die Politik in Europa diese Emotionen ernst nimmt – ehe mehr als nur ein paar intellektuell herausgeforderte Burgenländer im Keller sitzen.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

Zur Autorin:

Anneliese Rohrer
ist Journalistin in Wien: Reality Check http://diepresse. com/blog/rohrer

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.09.2014)

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