Kein Arbeitsmarktzugang für Flüchtlinge außer auf dem Strich?

Regierung und die Stadt Wien haben sich, allen anderen Verantwortlichen und den Bürgern in Asylfragen eine Nachdenkpause verschafft. Sie muss genützt werden.

Jetzt hat also das „unwürdige Pingpong-Spiel“, wie Werner Faymann das Gezerre zwischen Bund und Ländern um die Unterbringung von Flüchtlingen nannte, ein vorläufiges Ende. Es spielt keine Rolle, dass das „unerfreuliche Kapitel“ der vergangenen Tage (© Reinhold Mitterlehner) vor allem deshalb jetzt vorübergehend geschlossen werden konnte, weil die Regierung die beabsichtigten Großtaten ihrer Klausur dieses Wochenende nicht vom unerquicklichen Feilschen um Quartiere überschattet haben wollte. Ungeachtet der Motive verschafft die jetzige Lösung in Wien eine Atempause und Zeit zum Nachdenken.

Diese muss zur Ursachenforschung genützt werden. Die Schiene, entlang der die Verantwortung in Asylfragen hin- und hergeschoben wird, verläuft vom Bund über die Länder und Gemeinden zu den Bürgern und wieder zurück. Jetzt rächt sich nämlich der in den vergangenen Jahrzehnten total verparteipolitisierte Zugang zum Thema Ausländer.

Die Diskussion wurde immer ganz bewusst so unsauber geführt, bis in den Köpfen der Bürger alles durcheinandergeraten ist. Deshalb stellen sie – mit freundlicher Unterstützung durch die Bürokratie und die FPÖ – alle Ausländer unter den Generalverdacht des Arbeits- und Sozialmissbrauchs. Auch wenn sie es so nie zugeben würden, in den Köpfen läuft bei vielen der Film von den bei Wohnungsvergabe und Sozialhilfe bevorzugten Ausländern ab, die sich einen Aufenthalt erschleichen wollen.

Scheinasylanten, Wirtschaftsflüchtlinge, Immigranten – alles ist in den Köpfen wirr zu ein und derselben Bedrohung geworden. Die Politik hat sich nie wirklich um Aufklärung bemüht, im Gegenteil. Auf der Suche nach Ausreden in Fremden- und Asylfragen haben wir verlernt, klar zu denken. Da darf es nicht verwundern, wenn nun der Unterschied zu Flüchtlingen, die in Syrien, im Irak, in der Ukraine um ihr Leben rennen, alles verlieren, nur um ihre Kinder zu retten und dem Sterben zu entkommen, nicht mehr richtig erkannt wird. Oder wenn jetzt auch von offizieller Seite kein Unterschied zwischen Asylwerbern der vergangenen Jahre und akutem Flüchtlingselend gemacht, der Arbeitsmarkt geschlossen wird – aus rein parteipolitischen Gründen, sprich Angst vor der FPÖ.

Die jüngste Diskussion um Arbeitserlaubnis ja oder nein ist auch deshalb beschämend, weil ebendieser heimische Arbeitsmarkt an einer bestimmten Stelle sehr wohl offen ist: auf dem Strich. Asylwerber(innen) dürfen offiziell als Prostituierte arbeiten – mit der Begründung, sie würden es ohnehin tun, so habe man sie wenigstens unter Kontrolle. Bei dieser menschenverachtenden Einstellung darf man sich über die eklatante Begriffsverwirrung nicht wundern.

Sie hat ja auch schon andere Bereiche erfasst, was natürlich eine effiziente Bekämpfung zum Beispiel des organisierten Verbrechens schwierig macht. So werden, wie auch jüngst bei einer erfolgreichen Polizeiaktion, die Begriffe Schlepperwesen und Menschenhandel gleichgesetzt und durcheinandergebracht. Diese Begriffe gleichzusetzen bedeutet eine Verniedlichung des Menschenhandels.

Schlepper bringen Menschen gegen Bezahlung illegal über Grenzen und setzen sie in den meisten Fällen frei. Menschenhändler kaufen, verkaufen und versklaven Frauen, Kinder und Männer. In einer Gesellschaft wie der österreichischen, die nur in Eh-alles-Ausländer-Kategorien denkt, wird nicht mehr differenziert. Wie sollte sie, plötzlich wieder mit massiven Flüchtlingswellen konfrontiert, mit genügend Empathie reagieren können? Deshalb der Widerstand der Bürger, Gemeinden, Bundesländer, deren Verantwortliche sich mit diesem in den Gemeinden offensiv auseinandersetzen sollten statt abzuwehren. Für die vergangenen Tage müssten sie sich schämen.

Es liegt an der Politik, die aktuelle Situation zu erklären – auch wenn oder gerade weil diese zusätzlich mit dem Angstfaktor Religion (Islam) überfrachtet ist. Dann werden die Menschen sie auch verstehen und nicht „unwürdig“ reagieren.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

Zur Autorin:

Anneliese Rohrer
ist Journalistin in Wien: Reality Check http://diepresse. com/blog/rohrer

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.09.2014)

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