Und Wiens Bürgermeister Häupl ist ein mutiger Mann

Nach der Papierform könnte das Flüchtlingsthema der Wiener SPÖ bei der Wahl 2015 schaden. Die Polarisierung mit der FPÖ könnte aber auch hilfreich sein.

Immer wieder wird an dieser und anderer Stelle verlangt, dass Politiker einfach das Richtige tun, ohne sich mit starrem Blick auf den nächsten Wahltermin davor zu drücken. Ausgerechnet Wiens Bürgermeister, über den so viele Witze kursieren – wie über alle seine Vorgänger übrigens auch – und über den sich so viele hinter vorgehaltener Hand lustig machen, hat in der Vorwoche gezeigt, wie es auch gehen kann. Es gibt sie also doch noch, die positiven Überraschungen in der Innenpolitik.

Michael Häupls Entscheidung, der Unterbringung von 600 Flüchtlingen an zwei Wiener Standorten vorläufig auf vier Monate zuzustimmen, ist wahltechnisch riskant: Wenn die eine oder andere Umfrage stimmt, dass nämlich der Widerstand gegen Zuwanderung nach Österreich und gegen Asyl unter den österreichischen Migranten am stärksten ist, dann ist Häupl vor der Wiener Landtagswahl 2015 ein nahezu unkalkulierbares Risiko eingegangen. Dann werden er und die Wiener SPÖ enorm viel Fantasie aufbringen müssen, um es bis zum Wahltag zu minimieren.

Das Ergebnis der Landtagswahl in Vorarlberg hat vor Kurzem wieder den schon lange auch in Wien erkennbaren Trend bestätigt: Blau ist das neue Rot. Trotz des Verlustes an Stimmen hat die FPÖ vor allem in Arbeiterschichten und bei Jüngeren (mit Migrationshintergrund?) gepunktet. Schlägt man der Angst der Österreicher vor allem „Fremden“ noch die Angst der Zuwanderer der ersten und zweiten Generation vor dem Verdrängungwettbewerb auf dem Arbeitsmarkt hinzu, dann ist der Zulauf zur FPÖ leicht erklärbar.

Die im August veröffentlichte Bevölkerungsprognose von Wien müsste in dieser Hinsicht die Wiener SPÖ eigentlich wachgerüttelt haben: Jene Bezirke, in denen der stärkste Zuwachs erwartet wird, waren früher die klassischen SPÖ-Hochburgen. Sollte der Wiener SPÖ nicht per Geistesblitz eine erfolgreiche Strategie einfallen, dann muss sich die FPÖ dort nicht einmal anstrengen. Sie muss nur abwarten und permanent die Ausländerkarte ziehen. Sie wird dies ohne Skrupel tun, indem sie Flüchtlinge mit illegalen Zuwanderern, mit Scheinasylanten und mit Kriminellen gleichsetzt. Einen Vorgeschmack lieferte FPÖ-Chef Heinz Christian Strache in der letzten ORF-Sendung „Im Zentrum“ und sein Adlatus Johann Gudenus in der Wiener Landtagssitzung vor einer Woche mit dem Begriff „Weltasylheim“ alias Wien. Damit es klar ist: Es ging in dieser Sitzung um Flüchtlinge. Ihr Recht auf Schutz zog Gudenus – wahrscheinlich nach einer Idee von FPÖ-Sprücheerfinder Herbert Kickl – ins Lächerliche um der Pointe willen.

Nach besagter Prognose wird der 22. Bezirk, Donaustadt, am stärksten wachsen. Neue Siedlungen dort werden am beachtlichen Migrantenanteil wenig ändern. In den anderen Top-Zuwachsbezirken, 20, 2 und 10, ist die demografische Entwicklung seit Langem klar. So werden also die ersten vier vitalsten Wiener Bezirke, Brigittenau, Leopoldstadt und Favoriten noch stärker zu Hoffnungsgebieten für die FPÖ als bisher.

Und Häupl ist ein mutiger Mann. Ob es wirklich Mut oder eiskaltes Kalkül war, die Konfrontation mit der FPÖ und Strache zuzuspitzen, werden alle erst nach der Wahl 2015 wissen. Sicher ist, dass nur eine starke Polarisierung der müden Wiener SPÖ Beine machen kann. Sollte die Wahl mit herben SPÖ-Verlusten enden, werden die Genossen Häupl die Schuld geben, weil er letzte Woche das Richtige getan hat. Nützt ihr die Direktkonfrontation mit der FPÖ, weil Grüne, ÖVP und Neos weniger interessant werden, kann Häupl den Beweis antreten: Das Richtige muss nicht zwangsläufig Stimmenverlust bedeuten.

Nur, dafür muss die Wiener SPÖ noch sehr viel Kreativität und Kraft für die Auseinandersetzung aufbringen. Ohne sie wird Häupl von der „enormen menschliche Stärke“, die ihm Innenministerin Johanna Mikl-Leitner (ÖVP) zugestanden hat, genau gar nichts haben. Außer einen ungetrübten Blick in den Spiegel.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

Zur Autorin:

Anneliese Rohrer
ist Journalistin in Wien: Reality Check http://diepresse. com/blog/rohrer

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.10.2014)

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