Rechtzeitig drauf schauen, dass man's hat, wenn man's braucht

Entweder war es Justizminister Brandstetter mit dem Aus für das Weisungsrecht nie ernst, oder die ÖVP lässt ihn im Regen stehen. Nicht die einzige Kuriosität.


Also das Weisungsrecht des Justizministers an die Staatsanwälte bleibt. Alles andere wäre so etwa 35 Jahre nach dem ersten Aufflackern der Diskussion unter Christian Broda auch wirklich eine Sensation. Heinz Fischer war damals Klubchef der SPÖ und, wenn die Erinnerung an ein Gespräch darüber nicht trügt, wahrlich kein Freund der Abschaffung. Das waren auch die aufgeregten Jahre der Skandale im Umfeld der SPÖ. Ergo war Fischers Haltung klar.

Ironie der Geschichte: Nun ist die SPÖ mit den Grünen für eine Totaländerung und einen Bundesstaatsanwalt, ÖVP und/oder FPÖ dagegen. Mit anderen Worten und jenen von Justizminister Wolfgang Brandstetter in einem Nebensatz vor einigen Tagen: Die Verfassungsmehrheit für ein „anderes Weisungsorgan als den Justizminister“ sei nicht zu haben. Ein Schelm, wer an Verfahren aus schwarz-blauen Zeiten denkt!

Brandstetter brachte die Verfassungsmehrheit just bei einer Pressekonferenz zum Vertrauen der Österreicher in die Justiz zur Sprache. Da die FPÖ allein sie nicht verhindern kann, geht die ÖVP mit dem Festhalten am „letzten Wort für den Justizminister“ offenbar nach der Kultwerbung von Raiffeisen aus 1988 vor: „Rechtzeitig drauf schauen, dass man's hat, wenn man's braucht“. Das Weisungsrecht in diesem Fall!

Das wiederum lässt nur den Schluss zu: Entweder Brandstetter wollte das Ende der politischen Weisungen an die Staatsanwaltschaft (vor allem bei den sogenannten öffentlichkeitswirksamen Fällen) nie wirklich – oder die ÖVP hat ihn düpiert. Beide Varianten untergraben die Ankündigung, die jetzige Reform solle das Vertrauen in die Justiz stärken.

Wie sollte das denn gehen? Erinnert sich niemand mehr an den Fall Udo Proksch und daran, dass der damalige Justizminister Harald Ofner (FPÖ) die Suppe für „zu dünn“ befand und die Ermittlungen einstellen ließ? Bis die Recherchen Hans Pretterebners Proksch doch lebenslang hinter Gitter gebracht haben. An die etlichen bereits eingestellten Verfahren in Kärnten in Sachen Hypo und Birnbacher-Prozess vor den Urteilen wird man sich doch noch erinnern. Einstellen ist in Österreich, vor allem wenn die Politik involviert ist, nicht immer vertrauensbildend. Das lehrt die Erfahrung.

Deshalb kann Brandstetter nicht im Ernst meinen (und tut es wahrscheinlich auch nicht), dass die Schaffung eines „unabhängigen Weisenrats“ eine solche vertrauensbildende Maßnahme wäre. Dieses Gremium wird im Ernstfall wohl wissen, was zu tun ist. Und der Minister muss sich nicht einmal einmischen, denn weisungsfrei heißt nicht gesprächsfrei.

Man weiß, wie das läuft: Ein Mitarbeiter am anderen Ende der Leitung oder beim Small Talk: „Der Minister sagt...“ Und flugs ist das nur so ein Gespräch und beileibe keine Weisung. Kritische Stimmen, die jetzt darauf hinweisen, gibt es genug. Man muss schon ein Urvertrauen in die Redlichkeit der künftigen „Weisen“ haben, um das nicht für eine Augenauswischerei zu halten. Und wie gerechtfertigt ein solches ist, kann sich jeder selbst ausmalen.

Ganz schlecht schaut es aber mit dem Vertrauen aus, wenn man den Zeitpunkt der Realisierung des „unabhängigen“ Gremiums bedenkt. 2016, sagt Brandstetter. Bis dahin fungiert der Goodwill-Weisenrat, den Brandstetter für sich und jene Fälle eingerichtet hat, in die er als Strafverteidiger persönlich involviert war.

2016 wird jedenfalls über (Mord-)Anklage oder nicht im Fall des Ex-Botschafters von Kasachstan, Rachat Alijew, derzeit in U-Haft, entschieden worden sein. So ein Zufall auch! Brandstetter war nicht nur Anwalt, sondern auch „Unterkunftgeber“ Alijews. Eine stärkere Involvierung eines Justizministers lässt sich nicht denken. Die sogenannte Anscheinsproblematik – ein Wort aus der situationselastischen oder einsatzwahrscheinlichen Politikwelt – wird er auf diese Weise nicht los. Brandstetter kann gleich die nächste Umfrage zum Vertrauen in die Justiz in Auftrag geben.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

Zur Autorin:

Anneliese Rohrer
ist Journalistin in Wien: Reality Check http://diepresse. com/blog/rohrer

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.11.2014)

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