Die (un)erfüllte Sehnsucht nach einer Lichtgestalt

Eher als über eine Präsidentschaftskandidatur von Irmgard Griss sollte über den eklatanten Mangel an Persönlichkeiten in der Politik nachgedacht werden.

Spätestens in einem Jahr um diese Zeit wird das Rennen um das höchste Amt im Staat eröffnet sein. So viel lässt sich ohne Risiko der falschen Prognose voraussagen. Es sei denn, etwas Unvorhergesehenes passiert. Das wollen wir, die wir in den Medien Überraschungen ach so lieben, uns aber gar nicht vorstellen. Heinz Fischer möge 2016 so vital, wie er jetzt ist, sein Amt übergeben. Zwölf Jahre haben wir seine Vorsicht, Rücksicht, Nachsicht ertragen, da verzichten wir wirklich gerne auf jegliche Überraschung.

Diese Vorschau reizt aber auch zur Rückschau, denn es geht um das Amt in der Hofburg. Der Reflex, mit dem die Vorsitzende der Hypo-Kommission Irmgard Griss, nach der Präsentation des Berichts zur möglichen Kandidatin für das Amt in der Hofburg ausgerufen wurde, sagt mehr über die Sehnsucht nach einer Lichtgestalt in der österreichischen Politik aus als über die ehemalige Präsidentin des Obersten Gerichtshofs.

Griss hatte allerdings Anfang Dezember eine verfrühte Weihnachtsüberraschung nicht nur für die rot-schwarze Koalition, auch für uns skeptische Journalisten und die misstrauischen Bürger parat. Sie hatte sich nicht instrumentalisieren lassen. Sie hatte in einer für alle verständlichen Zusammenschau die Gründe für das Hypo-Desaster verdichtet und dann auch in einem Interview mit Armin Wolf in der ZIB2 so erklärt, dass selbst dieser nachher eher fassungslos twitterte: „In zwölf Jahren ZIB2 nicht erlebt, dass ein Studiogast eine so gute Nachrede hatte wie Frau Griss.“

Aber reicht die Fassungslosigkeit eines ORF-Moderators und die ganze Aufregung auf Twitter und in den sozialen Netzwerken aus? Eher nicht. Die einzig Unaufgeregte in der ganzen Angelegenheit blieb Irmgard Griss. Wäre jemand in der Präsidentschaftskanzlei, der in knappen Sätzen auf verständliche Weise und ohne Politikerphrasen die Sachen auf den Punkt bringt, eine erfreuliche Erscheinung? Sicher schon. Würde jemand, der komplizierte Zusammenhänge plausibel erklären kann, erfrischend sein? Ganz gewiss. Aber das hatte man sich schon 1998 von der ehemaligen burgenländischen Superintendentin Gertraud Knoll erwartet – bis sie zum ersten Mal im Präsidentenwahlkampf den Fuß auf das politische Parkett setzte.

So wird nicht die Frage entscheidend sein, ob Irmgard Griss sich zu einer Kandidatur überreden ließe, sondern warum in Österreich immer dann von einem „neuen Stern am politischen Himmel“ („Salzburger Nachrichten“) oder von Hoffnungsträgern die Rede und Schreibe ist, wenn irgendjemand auch nur mit einem Bein aus dem gewohnten Politiker-Schema in Sprache und Auftreten herausfällt. Man sollte nicht vergessen, dass vor dem Wahlkampf 2013 viele in Frank Stronach so eine Lichtgestalt gesehen haben – bevor niemand Stronach vor sich selbst geschützt hat. Und wieder ist klar, dass Politik mehr bedeutet als unkonventionelles Auftreten.

Es stimmt schon, dass die meisten Menschen die ständigen gegenseitigen Schuldzuweisungen, das ewige nichtssagende Herumgerede in der Politik und die vagen Erklärungen in unsicheren Zeiten satthaben.

Es stimmt schon, dass klare Antworten auf einfache Fragen eine wahre Wohltat wären. Es stimmt schon, dass Persönlichkeiten wie Griss das Elend der politischen Diskussion nur durch ihre Anwesenheit offenkundig machen wie im ORF-Zentrum vor ein paar Wochen, in der sich ÖVP-Klubobmann Reinhold Lopatka und SPÖ-Finanzsprecher Christoph Matznetter bis auf die Knochen blamiert hatten – ohne dass Griss viel gesagt hätte.

All dies stimmt. Nur sollte man eher über die Gründe für den Mangel an Persönlichkeiten nachdenken statt reflexartig positiv jede neue Person zu bejubeln. Griss hat eine Kandidatur ausgeschlossen – aber das haben andere vor ihr auch. Die Prognose, sie werde der Versuchung sicher widerstehen, ist daher zu riskant. Wichtig wäre der Vorsatz: Mehr nachdenken, weniger reagieren.

E-Mails an:debatte@diepresse.comZur Autorin:

Anneliese Rohrer
ist Journalistin in Wien: Reality Check http://diepresse. com/blog/rohrer

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.12.2014)

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