Furcht vor Islamismus in Wahrheit Angst vor der eigenen Schwäche?

Das Geschäft mit der Panik blüht, politisch wie medial. Europa ist sein bester Kunde. Die ständige Beschwörung der eigenen Überlegenheit reicht nicht.

Es ist jetzt sicher schon über zehn Jahre her, da ergab sich eine zutiefst verstörende Unterhaltung mit einer Ärztin, die man bis zu diesem Zeitpunkt für gebildet und informiert gehalten hatte: „Statt des Kreuzes auf unseren Kirchen wird der Halbmond sein.“ Ihrer Furcht vor der drohenden Machtübernahme der Moslems in Europa, Österreich, Wien war mit rationalen Argumenten und dem Verweis auf die Stärke der freien Gesellschaft und der demokratischen Strukturen nicht beizukommen.

Zwischen damals und heute liegt ein Jahrzehnt, in dem das, was man Islamismus-Geschäft nennen könnte, auch als Panik-Business zu sehen, erst so richtig expandierte. Parteipolitisch wie medial. Politisch erhielten vor allem islamfeindliche Gruppen, oft unter dem Deckmantel genereller Ausländerfeindlichkeit, Zulauf. Medial verführte der sogenannte Klick-Journalismus zu entsprechenden Ergüssen: Eine islamkritische oder -feindliche Titelzeile garantierte im Internet zuverlässig erhöhte Aufmerksamkeit, was zu Wiederholung und Steigerung der Schärfe animiert. Bücher mit einschlägigen Horrorszenarien für Europa verkauften sich in manchen Fällen phänomenal, in anderen nicht, aber Trittbrettfahrer des Schreckens gibt es viele. Und sie werden wahrscheinlich noch mehr werden.

Wir sollten gerade in diesen aufgeregten Tagen, in denen die ganze Welt nach Frankreich blickt, einmal innehalten und uns fragen, warum das Geschäft mit der Panik so florieren kann und ob wir nicht den Panikmachern auf den Leim gehen: Sie warnen vor dem Untergang der Demokratie und Freiheit und haben, sofern sie am äußersten rechten Rand agieren, damit selbst nicht viel im Sinn. Alle außerhalb ihres Spektrums werden als verblendete Linke diffamiert, womit sich die an westlichen Werten orientierte Gesellschaft leicht auseinanderdividieren lässt. Im Namen der Sicherheit verführen sie zur Aufgabe der Freiheit. Selbsterfüllende Prophezeiung, nichts anderes.

An dieser Stelle empfiehlt sich, auf den Unterschied zwischen Furcht und Angst hinzuweisen: Furcht vor etwas ist konkret, berechtigt, wirklichkeitsnah. So wie die Furcht vor den barbarischen Akten des Terror ganz bestimmter Gruppen des Islam – al-Qaida, IS oder Boko Haram. Furcht sind konkrete Maßnahmen entgegenzusetzen. Angst hingegen ist abstrakt, entstammt dem Gefühl einer generellen Bedrohung.

Im schlimmsten Fall tritt Angststörung auf, Kontrollverlust und Handlungsunfähigkeit. Die wichtigste Frage lautet daher: Warum glauben immer mehr Menschen in Europa, dem Islamismus nichts entgegensetzen zu können, die Kontrolle zu verlieren, bei der Verteidigung der eigenen Werte gelähmt zu sein?

Haben wir so wenig Selbstsicherheit, so wenig Vertrauen in uns selbst? Die massenhaften Beschwörungen der Meinungsfreiheit in den Post-Paris-Tagen klingen eher wie das Pfeifen zur eigenen Aufmunterung. Sind die Gesellschaften Europas so schwach geworden, dass sie sich von der Bedeutung ihrer Werte noch immer selbst überzeugen müssen? 2015? Eine solche Ich-Schwäche 70 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs? Warum?

Wie kann es sein, dass sich wirtschaftlich (noch) starke, theoretisch gefestigte Demokratien einreden oder einreden lassen, ihr gesellschaftliches Fundament nicht ausreichend verteidigen zu können? Unsicherheit provoziert Aggression. Wie kann es sein, dass unser Selbstbild von Terrorakten bedroht ist? Für diese müssen doch in technologisch hoch entwickelten Staaten ausreichend Instrumente der Gegenwehr zur Verfügung stehen. Fühlen wir uns in Wahrheit von innen heraus bedroht?

Die ständige gegenseitige Versicherung der eigenen Überlegenheit allein ist kein probates Mittel zum Erhalt von Demokratie und Freiheit. Wir müssen uns schon überlegen, wo und warum wir unser System selbst schwächen – und Taten setzen. Das würde dann auch alle Angstmacher in die Schranken weisen.

E-Mails an:debatte@diepresse.com

Zur Autorin:

Anneliese Rohrer
ist Journalistin in Wien: Reality Check http://diepresse. com/blog/rohrer

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.01.2015)

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