Außer Tritt geraten: Warum wir uns mit Demonstrationen schwertun

Zu lange hat das System der Sozialpartnerschaft eine schwere Decke über das Land gelegt. Darunter wurde die Lust auf öffentliche Meinungsäußerung erstickt.

Aufgeregt bis hysterisch und vor allem verwirrt: So sahen die Reaktionen auf die jüngsten Demonstrationen in Wien aus. Es war ja auch wirklich unglaublich: zwei in einer Woche! Da kann die „Kronen Zeitung“ schon die Chance auf eine Kampagne wittern und vom „Demo-Wahnsinn“ schreiben, der zu stoppen sei, weil Bürger terrorisiert würden. Schon einmal den Katalog der Grundrechte zur Hand genommen?

Ein Ausflug in die Gefilde der Oberlehrerinnen: Demonstration kommt vom lateinischen demonstrare, nicht wahr, und das bedeutet: zeigen, hinweisen, nachweisen. Und damit tut man sich in Österreich nachweislich schwer. Die einzige Demonstration, die im internationalen Vergleich als machtvoller Hinweis auf die Stimmung in der Bevölkerung durchgehen würde, fand am 23. Jänner 1993 statt. Das „Lichtermeer“ gegen Ausländerfeindlichkeit war tatsächlich das Signal von 300.000 Menschen aus der Mitte der Gesellschaft.

Zwar wurde es umgehend von aufrechten Rechten als Hatscher linker Gutmenschen über den Wiener Ring diffamiert, doch wer dort war, sah anderes: überwiegend Teilnehmer mit offenkundig bürgerlichem Hintergrund. Aber nicht einmal das konnte man damals gelten lassen. Sieben Jahre später war es dann bei den Donnerstagsdemonstrationen gegen Schwarz-Blau nichts mehr mit machtvoll. Wolfgang Schüssel und Co. ließen sich nicht provozieren und die linken Spaziergeher auflaufen. Kluge Entscheidung! Schluss mit dem Protestbummel.

Bleibt die Frage, warum wir uns in Österreich so schwer mit Demonstrationen tun – mit der Aktivität selbst, und mit der Einschätzung auch. Einer der Gründe ist sicher folgender: Unter der schweren Decke, die die Sozialpartnerschaft seit den 1950er-Jahren über das Land gelegt hat, konnte sich keine Protestkultur entwickeln. Sie drückte alles so lange nieder, bis die Bürger selbst nicht mehr daran glaubten, irgendeine Demonstration ihrer Meinung könnte irgendetwas bewirken. Raunzen statt rennen wurde zum nationalen Credo. Wer es jahrzehntelang befolgt hat, dem bescheren natürlich zwei Kundgebungen in einer Woche starkes Herzflattern – mit freundlicher Unterstützung der Medien, muss man hinzufügen.

Nun, die Frage, warum alles immer so verwirrt abläuft, muss man gar nicht stellen. Verwirrt endet vieles in diesem Land. So auch die Demonstrationen: Zum einen, weil es immer irgendwelche Trittbrettfahrer mit einer ganz eigenen Agenda gibt, die mit dem Demo-Thema nichts zu tun hat; zum anderen, weil die meisten Ansammlungen im öffentlichen Raum von einer Partei oder einer Gruppe wie dem ÖGB gewissermaßen gekidnappt werden; das heißt, es wird ihnen Parteipolitik übergestülpt. Am Ende ist dann oft nicht klar, wer wofür oder wogegen gerade eben auf die Straße gegangen ist.

Da kann es schon passieren, dass sich die Verwirrung in den Köpfen von Politikern festsetzt – nicht nur von Journalisten in der Muthgasse. Sie wissen, die Mehrheit der Bürger hat aus den oben genannten und historischen Gründen mit Demos nicht viel am Hut, und wollen diese Distanz für sich nützen.

Den Vogel an Wirrheit hat nun die Spitzenkandidatin der Neos in Wien, Beate Meinl-Reisinger, abgeschossen. Vorausgesetzt ihr Zitat in einem Gratisblatt stimmt, was man ja nie weiß: „Das Demo-Recht muss mit Vernunft, Sorgfalt und Ernsthaftigkeit ausgeübt werden. Spaß-Demos haben hier nichts verloren.“ Und wer, bitte, bestimmt, was eine Spaß-Demo ist? Von einer Neos-Vertreterin war das nicht zu erwarten. Vielleicht hätte sie doch bei der Wiener ÖVP bleiben sollen, die ja nun wegen der Demos einen Sicherheitsstadtrat (wunderbarer ÖVP-Posten, oder?) verlangt.

Als von Mai 2011 an in Wien Wutbürger zum monatlichen Stammtisch kamen, war nach einiger Zeit klar: Reden ja, handeln nein! Wir haben keine Kultur und keine Tradition der Meinungsäußerung im öffentlichen Raum, keine demokratische Gelassenheit. Man kann sie entwickeln – wenn da nicht diese Aufregung wäre. Einen Versuch wäre es aber wert.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

Die Autorin:

Anneliese Rohrer
ist Journalistin in Wien: Reality Check http://diepresse. com/blog/rohrer

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.02.2015)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.