Auf Anordnung des Gerichts: Kusch, frag nicht, zahl einfach!

Ein Urteil „im Namen der Republik“ zu mehrfachen Pflichtversicherungen von Pensionisten zeigt deutlich auf, wie der Staat in Wahrheit seine Bürger sieht.

Aller guten Dinge sind drei. Also geht's noch einmal. Zweimal wurde an dieser Stelle, durchaus in eigener Sache, die Mehrfachversicherung (Pension, Krankenkasse, Unfall, Eigenvorsorge) von ASVG-Pensionisten mit selbstständiger Tätigkeit thematisiert. Zusammengefasst ging es dabei um folgende Fragen: Wozu doppelt krankenversichert, wenn man nur einmal krank werden kann? Wozu Pensionsbeiträge, wenn aufgrund des Alters keine Pensionszahlungen zu erwarten sind? Jetzt liegt die Antwort „im Namen der Republik“ vor.

Richterin Doris Kohl schreibt in dankenswerter Offenheit in einem Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts: „Es ist für die Pflichtversicherung ohne Belang, ob der Einzelne der Sozialversicherung bedarf, sie erwünscht oder ob er sie für sinnlos erachtet.“ Erfrischend deutlich, nicht wahr? Schmeck's, was der Bürger braucht, will oder denkt! Eine bessere Beschreibung der Beziehung Staat/Bürger hierzulande gibt es nicht.

Richterin Kohl weiter: „Über den individuellen Sonderinteressen stehen die gemeinsamen Interessen der in der Pflichtversicherung zusammengeschlossenen Personen.“ Eine wahrlich aufrichtige Darstellung der Tatsache, dass in Österreich Zwangsabgaben kein Anschlag auf den Leistungsgedanken sind. Es kommt jedoch noch deutlicher: Im Rahmen der Pflichtversicherung ist „die Privatautonomie möglichst ausgeschaltet“. Nichts ist es mit Selbstbestimmung, nichts mit Entscheidungsfreiheit, nichts mit Autonomie mündiger Bürger.

Pflichtversicherung schön und gut, aber muss es gleich mehrfache Zwangsversicherungen geben? Experten meinen Ja, weil der Staat und seine nachgeordneten Stellen wie die Verbände (in diesem Fall die Wirtschaftskammer und ihre Sozialversicherungsanstalt der Selbstständigen) einfach Geld brauchen.

Auch das wird in dem Urteil erhellend, wenn schon nicht einleuchtend, dargestellt: „In der gesetzlichen Sozialversicherung gilt also – aufgrund des Hervortretens des Versorgungsgedanken vor dem Versicherungsgedanken – keine Äquivalenz zwischen Beitrag und Leistung. Es muss [...] in Kauf genommen werden, dass es in manchen Fällen trotz bestehender Pflichtversicherung zu keinem Leistungsanfall kommt.“ Hoffentlich ist damit nicht die Versorgung der Funktionäre von Kammern und SVA gemeint, sondern jene der anderen Versicherten, die mit den Überschussbeträgen der Mehrfachversicherten versorgt werden sollen. Ungeklärt ist allerdings, warum man es in Kauf nehmen „muss“, dass der eigenen finanziellen Leistung keine Gegenleistung gegenübersteht.

Dazu heißt es in dem Urteil sinngemäß: Pech gehabt, Pensionsbeiträge sind zu zahlen, „mag es auch künftig zu keinem Pensionsanfall kommen“. Experten haben dazu ganz eigene Ansichten. Einer meinte, na ja, wenn man 100 Jahre alt werden würde, dann gäbe es vielleicht eine Gegenleistung für das Geld, das man ab 60/65 jetzt beim Fenster hinaus und in den Rachen der Sozialbürokratie werfe. Es sei zwar nicht wahrscheinlich, aber nicht gänzlich ausgeschlossen.

Ein anderer Experte bot eine, wie er es nannte, weniger romantische Erklärung an: Wenn man den selbstständig arbeitenden Pensionisten dieses Geld nicht abnehmen würde, kämen sie auf dem Arbeitsmarkt billiger als andere und hätten dadurch einen Wettbewerbsvorteil. In Wahrheit aber werde das Geld einfach benötigt – wofür immer.

Länger arbeiten, mehr Steuern zahlen, gesünder bleiben, weniger Gesundheitskosten verursachen: Das hat doch Sinn, oder? Im Frühjahr 2014 noch wollten die Seniorenverbände der Koalitionsparteien und die SVA dem zum Durchbruch verhelfen. Inzwischen scheinen sie das Interesse daran verloren zu haben.

Also stelle auch ich jetzt auf richterliche Anordnung die Suche nach der Logik der Mehrfachbeiträge ein. Gegen die „staatlich legitimierte Abzocke“ – auch dieses Zitat von WKO-Chef Christoph Leitl geht einmal noch – ist offenbar kein Kraut gewachsen.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

Zur Autorin:

Anneliese Rohrer
ist Journalistin in Wien: Reality Check http://diepresse. com/blog/rohrer

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.03.2015)

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