Athen liegt am Wörthersee Kein Mitleid für Kärnten

Im südlichen Bundesland müssen die Menschen nun für ihr (Wahl-)Verhalten, ihre Begehrlichkeiten, ihre Passivität büßen. Griechen gestehen wenigstens Fehler ein.

Also es sei schon ungerecht, dass die Kärntner nun büßen müssten. Das sagte sinngemäß eine junge Kärntnerin im ORF-Interview zur Bettelparade der gesamten Landesregierung am Wiener Ballhausplatz. Nein, ist es nicht! Beklagen können sich höchstens jene 55 bis 58 Prozent der Kärntner, die 2009 und 2008 nicht das BZÖ gewählt haben. Alle anderen haben keine Berechtigung, ob der nunmehr gestrichenen freiwilligen Sozialleistungen zu verzweifeln. Es wird langsam an der Zeit, dass auch die Bürger Verantwortung für ihr Verhalten übernehmen.

Wäre die Situation nicht so tragisch, könnte man flapsig sagen: Blöd gelaufen! Als Landeshauptmann hat Jörg Haider nach dem Verkauf der Hypo Alpe Adria an die Bayern 2007 stolz verkündet, es sei an der Zeit, dass „endlich der kleine Mann an den Geldtopf kommt“. Nun steht er dort, der kleine Mann, und muss sein Steuergeld wie in einen Pott ohne Boden hineinschütten, statt einfach weiter dort zulangen zu können, wohin er endlich gekommen ist.

Das ist so etwas wie ausgleichende Gerechtigkeit dafür, dass Kärntens „kleiner Mann“ sich jahrelang von Haider und danach auch von seinen Konsorten 2009 die Wahlstimme hat abkaufen lassen: Mit 500 Euro Babygeld, mit dem Führerschein-Tausender alias Jugendstartgeld, mit dem Teuerungsausgleich, mit Billigdiesel, mit einem eigenen Fonds von 50Millionen Schilling für die Wohnumgebung der Gebrüder Uwe und Kurt Scheuch. Damit sollte die Zukunft des Mölltals „für Generationen gesichert“ werden. Auch eine Art Stimmenkauf.

Wer ist denn vor dem Klagenfurter Landhaus Schlange gestanden, um bares Geld in die Hand zu bekommen? Dass irgendjemand damals gesagt hätte, „Behalten Sie es, es ist mein Steuergeld“, ist nicht überliefert. Wer hat das Babygeld zurückgeschickt, mit der Bemerkung, „das Land kann sich das nicht leisten“? Hat irgendwer die Büros der Landeshauptleute Jörg Haider und später Gerhard Dörfler mit Protestmails gegen die Geldverschwendung zugeschüttet? Nicht einmal jene Mehrheit, die das BZÖ nicht gewählt hat. Ergo ist es Zeit, Verantwortung zu übernehmen.

Es ist in Österreich populär, sich an den Politikern abzuarbeiten, das eigene Zutun aber nicht zu reflektieren. Wenn dann etwas wie in Kärnten total schiefläuft, dann soll es plötzlich „ungerecht“ sein? Man kann die Verantwortung der Bürger aber auch von der regionalen Kärntner Ebene auf die nationale heben und sogar in einen größeren zeitlichen Rahmen stellen.

Wenn heute Geldverschwendung, Übermacht der Parteien im normalen gesellschaftlichen Leben, Verfilzung und Proporz als Ursache für das größte Missvergnügen der Bürger identifiziert wird, dann sei die Frage erlaubt: Wer hat sich denn in diesem nun so verteufelten „System“ Österreich behaglich eingerichtet und von ihm profitiert? Sicher nur eine Minderheit wie in Kärnten, aber stark genug, es über Jahrzehnte hin zu stabilisieren – und die Politik bis zur jetzt so bejammerten Verkrustung des Systems gewähren zu lassen.

Kärnten liefert nur den bis jetzt sensationellsten Anschauungsunterricht für die Konsequenz zivilgesellschaftlicher Begehrlichkeit, Duldung und Passivität. Aber der „kleine Mann“ (warum regt sich eigentlich bei dieser Phrase niemand gendermäßig auf?) steht und stand nicht nur im Süden der Republik um den Geldtopf herum.

Lernen von den Griechen, könnte man an dieser Stelle sagen. So hat zum Beispiel ein Architekt in Saloniki, angesprochen auf die jahrelange Krise und die sozialen Härten, im Gespräch gemeint: „Wir haben so lange über unsere Verhältnisse gelebt, alle haben es gewusst, jetzt müssen wir büßen.“ Insofern liegt Athen am Wörthersee. Nur die Einsicht mancher Griechen, nicht nur Politiker, sondern auch ihre Wähler haben die Misere verursacht, hat sich noch nicht bis dorthin durchgesprochen. Kärntner haben mit Griechen sicher auch kein Mitleid.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

Zur Autorin:

Anneliese Rohrer
ist Journalistin in Wien. Reality Check: http://diepresse. com/blog/rohrer

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.04.2015)

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