Warum die erste Zentralmatura extrem unfair sein wird

Nicht informierte Lehrer, verunsicherte Schüler: Erfolg oder Misserfolg hängt von der Vorbereitung an den einzelnen Schulen ab. Da gibt es enorme Unterschiede.

Vier Tage vor der ersten schriftlichen „echten“ Zentralmatura wird wieder oder noch immer heftig darüber diskutiert. Der Sinn der Reform ist weitgehend außer Streit gestellt, ihre Umsetzung und konkrete Ausführung hingegen sind umstritten. „Fürchtet euch nicht!“, könnte man den Maturanten zurufen. „Ihr müsst das nämlich so sehen: In Wahrheit geht es gar nicht so sehr um Lernen und Lehren, sondern darum, euch fünf Lektionen fürs Leben mitzugeben. Wie war das mit dem lästigen Spruch: ,Nicht für die Schule, sondern fürs Leben lernt ihr.‘“

Also dann, die erste Lektion: Das Leben ist nicht fair. Bei der Zentralmatura, so viel hat sich in den letzten Wochen und Monaten gezeigt, wird es davon abhängen, ob sich in einer Schule die Lehrkräfte besonders intensiv um die Vorbereitung darauf gekümmert haben.

Da gibt es offenbar große Unterschiede zwischen den einzelnen Schulen. Von manchen erfährt man, dass es „noch nie eine so schlecht vorbereitete Matura“ für die Schüler gegeben habe, von anderen, dass sie sich seit Jahren bemühen, den Schülern zu zeigen, was eigentlich auf sie zukommt.

Erfolg und Misserfolg sind individualisiert. Hat eine Maturaklasse zum Beispiel eine Lehrkraft in Mathematik, die sich mit den neuen Anforderungen nicht auseinandersetzen wollte, weil sie sich „selbst nicht auskennt“, dann haben die Schüler eben Pech gehabt. Soll vorkommen. Andere haben das Glück, mit engagierten Mathematikern arbeiten zu können, die sich in der Fortbildung vielleicht schon jahrelang schlaugemacht haben. Wie steht es dann mit der Vergleichbarkeit und Fairness der zentralen Reifeprüfung?

Gerade das sei eben, so heißt es, ihr Vorteil. Man kann die „schlechten“ Lehrkräfte eher entdecken. Na klar, es wird die Maturanten des Jahres 2015 ungemein aufbauen, dafür herhalten zu dürfen, dass in den kommenden Jahren die minder talentierten Pädagogen ausfindig gemacht werden können.

Zweite Lektion: Alles ist relativ. Jahrelang wird den Schülern eingetrichtert, dass die Matura der „krönende“ Abschluss ihrer Schullaufbahn sein wird. Dann aber hören sie von der zuständigen Unterrichtsministerin, Gabriele Heinisch-Hosek, dass die „Matura ja nicht alles ist“– schon gar nicht so viel, sie zu Konsequenzen zu veranlassen und ihren Rücktritt einzureichen, sollte nicht alles ohne Pannen und Pleiten funktionieren.

Dritte Lektion: Auch Politiker können Unsinn reden. Spätestens seit dem „ZiB2“-Auftritt Heinisch-Hoseks vor einer Woche sollten Junge diese Lektion gelernt haben. Minutenlang war nicht erkennbar, was die Ministerin eigentlich zu einer Prüfung mit 15 Jahren (wie in Polen) sagen wollte. Sinnentleerte qualvolle Minuten. Dafür sagte sie mindestens dreimal „das Beste für unsere Kinder“ und erwähnte die Gewerkschaft ebenso oft.

Vierte Lektion: Sicherheit gibt es nicht. Das ist vielleicht die wichtigste Lektion der letzten Wochen. Denn wirklich verwerflich an der Art, wie die Zentralmatura durchgeführt wird, ist die Verunsicherung von Lehrkräften und Schülern.

Die meisten Schüler – außer jene von besonders engagierten Lehrkräften – haben zusätzlich zu dem normalen Stress vor einer großen Prüfung auch noch die Angst vor Unbekanntem. Wie genau das ablaufen wird, erfahren sie nicht. Diese Unsicherheit haben sie wenigstens mit manchen Lehrkräften gemeinsam. Wer nicht an einer Schule unterrichtet, die sich schon „seit 2007“ (Aussage eines Direktors im ORF) darauf vorbereitet, obwohl der Beschluss erst 2009 gefallen ist, wird sich vielleicht sogar noch in den letzten Monaten von den Schulbehörden ungenügend informiert gefühlt haben.

Schließlich die fünfte Lektion: Protest muss manchmal sein. Ganz so zentral, wie getan wird, ist diese Matura ja in Wirklichkeit nicht. Daher bietet sie nach wie vor Raum für ungleiche Behandlung. Wer sich also, auf die gesamte Prüfung bezogen, ungerecht behandelt fühlt, sollte an Einspruch denken. Trotzdem: toi, toi, toi!

E-Mails an: debatte@diepresse.com

Zur Autorin:

Anneliese Rohrer
ist Journalistin in Wien: Reality Check http://diepresse. com/blog/rohrer

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.05.2015)

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