Genug der Gedenken und Feiern Was ist mit heute, was mit morgen?

Während die Freiheit von 1945/1955 gefeiert wird, ist jene der Gegenwart gefährdet: Wahrscheinliche zukünftige Straftat genügt für einen Eingriff in die Privatsphäre.

Heute ist Life Ball, gestern war die Feier zum 60. Jahrestag der Unterzeichnung des österreichischen Staatsvertrags. Das politische Leben schlägt mitunter bemerkenswerte Kapriolen. Just während sich Leopold Figls „Österreich ist frei“ wie ein Echo medial verbreitet, sollte sich die Aufmerksamkeit eigentlich auf ganz andere Themen konzentrieren. Denn wie frei wird dieses Österreich sein, wenn das Staatsschutzgesetz wie vorgesehen verabschiedet, das Bankgeheimnis wie geplant aufgehoben, das Bargeld wie diskutiert abgeschafft wird?

Seit einer Woche gibt es für alles rund um das Ende des Zweiten Weltkriegs, den Tag der Befreiung vom Nazi-Regime Gedenkveranstaltungen. Im gewissen Sinn gehört auch der 15. Mai zehn Jahre später dazu. Man könnte das auch als willkommene Ablenkung von den ausgerechnet jetzt in seltsamer Verdichtung geplanten Freiheitsbeschränkungen sehen. Diese Gleichzeitigkeit von historischem Freiheitsjubel und aktuellem Freiheitsabbau hat schon etwas Gespenstisches. Es wäre besser, sich dem Heute und Morgen mit dem gleichen Pathos zu widmen wie dem Gestern.

Erstes Beispiel: Staatsschutzgesetz mit neuem Geheimdienst, neuen „Spitzeln“, neuen Kompetenzen zur Überwachung. Richter, Rechtsanwälte, NGOs üben Kritik, aber eine substanzielle Diskussion in der Öffentlichkeit darüber findet nicht statt, was sogar in Deutschland Aufmerksamkeit erregt hat. In einem Blog-Eintrag im Meinungsmedium „Der Freitag“ von Jakob Augstein ist von einem „Spitzelstaat“ Österreich und dessen „Überwachungsmaschine“ die Schreibe – und davon, dass das Gesetz „ohne große Debatte“ vom Nationalrat beschlossen werden wird.

Zweites Beispiel: Die Abschaffung – oder wie es die Regierung lieber hört: die Einschränkung – des Bankgeheimnisses mit einem zentralen Kontoregister auch für Private, mit einem schnelleren Zugriff auf alle Daten ohne Einschränkung der Zustimmung eines Richters etwa, mit der Möglichkeit, Kontobewegungen über Jahre nachzuvollziehen. Experten, Bankenvertreter, Rechtsanwälte sind dagegen.

Drittes Beispiel: Die Abschaffung des Bargeldes. Zahlungen nur mehr per Kreditkarte etwa ermöglichen eine lückenlose Überwachung des Zahlungsverkehrs von Firmen und Privatpersonen und deren Geschäfts- oder Lebensgewohnheiten. Ein entsprechender internationaler Plan ist offenbar schon so weit gediehen, dass sich die ÖVP bei ihrem Parteitag diese Woche auf Antrag von Staatssekretär Harald Mahrer gezwungen sah, ein „Bekenntnis zum Bargeld“ in ihr Parteiprogramm aufzunehmen. Nur, die ständige Versicherung, Bargeld bleibe, macht stutzig. Das war auch mit dem Bankgeheimnis so. Irgendwelche Argumente gegen Steuerhinterziehung und Schwarzarbeit werden sich immer finden lassen, um den Bruch eines Versprechens zu rechtfertigen.

Diese Beispiele werden zwar stets getrennt behandelt, haben aber eine wirklich verstörende Gemeinsamkeit. In allen Fällen geht es um behördliche Zu- und Eingriffe in die Privatsphäre auf bloßen Verdacht hin.

Beim Staatsschutzgesetz reicht die vermutete Wahrscheinlichkeit, dass jemand eine Straftat begehen könnte. Beim Zugriff auf Bankkonten und dem Aus für Bargeld genügt die bloße Vermutung, jemand könnte Steuern hinterziehen und/oder Geld waschen. Das ist ein radikaler Paradigmenwechsel: Es gilt die kollektive „Schuldvermutung“.

Wo bleibt in dem Vergangenheitsgeflüster der vergangenen Tage der Aufschrei gegen diese Einschränkungen der Grundrechte? In Österreich ist die Tendenz dazu noch gefährlicher als anderswo, weil hier laut einer IMAS-Studie 2010 rund 20 Prozent der Bevölkerung eigentlich nichts gegen einen autoritären Staat haben. Ein Abbau an Freiheit da, einer dort, man könnte sich gewöhnen, wo ist die Grenze?

Zivilgesellschaft, Medien und Opposition sollten jetzt höllisch aufpassen: Sonst war's das mit der Freiheit, die wir meinen. Seit 1945,1955!

E-Mails an: debatte@diepresse.com

Zur Autorin:

Anneliese Rohrer
ist Journalistin in Wien: Reality Check http://diepresse. com/blog/rohrer

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.05.2015)

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