Besondere Spezies: Chefs, die alles und doch nichts im Griff haben

Sie rühmen sich ihrer Führungsstärke und wollen doch Opfer von einigen wenigen Unkorrekten gewesen sein: Blatter (Fifa) und Schüssel (ÖVP) als Fallbeispiele.

Werde nicht erlauben, dass einige wenige die harte Arbeit der Mehrheit zerstören.“ Wer hat das gesagt? Wolfgang Schüssel, Bundeskanzler, als er im Juli 2006 vom damaligen Vorstand der Finanzmarktaufsicht (FMA), Heinrich Traumüller, von der wahren Situation der Hypo Alpe Adria erfahren hat? Nein. Den Satz hat vielmehr Fifa-Präsident Joseph Blatter am Donnerstag über den Korruptionsskandal im Fußballweltverband von sich gegeben.

Schüssel hätte ihn 2006 aber auch sagen können. Im Juli jenes Jahres, wenige Monate vor der Nationalratswahl, stand nämlich die ganze „harte Arbeit“ seiner ÖVP-Mehrheit, also jener 42 Prozent aus der Wahl 2002, auf dem Spiel. Dass Schüssel den Blindflug der Hypo Alpe Adria in das Desaster auf keinen Fall öffentlich diskutiert haben wollte, ist mehr als verständlich. Schließlich schienen SPÖ und ÖGB gerade im Strudel des Bawag-Skandals (ein parteipolitisches Gottesgeschenk für die ÖVP) unterzugehen. Die Erwartungen für eine dritte Amtszeit nach gewonnener Wahl 2006 waren groß und unerschütterlich. Es wäre, wenn schon nicht politischer Selbstmord, so denn taktisch äußerst unklug gewesen, die drohende Katastrophe in Kärnten überhaupt zur Kenntnis zu nehmen.

Und was, bitte, hat Blatter jetzt überhaupt mit Schüssel zu tun oder vice versa? Viel. Beide provozieren nämlich die Frage: Wie viel muss/kann ein „Chef“ wissen? Wie sehr muss er alles, was in seinem Bereich passiert, „im Griff“ haben? Kann er wirklich bei Bekanntwerden von Fehlentwicklungen sagen: „Uch, ich habe nichts gewusst.“ Dabei muss man sich die Dimensionen vor Augen halten: Bei der Fifa geht es um Korruption im bisher berechneten Wert von etwa 500 Millionen Euro; bei der Hypo Alpe Adria um eine wahrscheinlich zweistellige Milliardensumme. Blatter hätte die Korruption schon vor Jahren stoppen können; Schüssel das Hypo-Desaster ab 2003.

Um alle Schüssel-Verehrer gleich auf Distanz zu halten, sei nochmals betont: Das Schweigen des Schweige-Kanzlers im Sommer 2006 ist absolut einsichtig und politisch in einer Vorwahlzeit zulässig. Aber darum geht es nicht einmal.

Die Frage nach dem Wissen der Vorgänge und der (politischen) Kontrolle der Akteure bezieht sich auf die Zeit nach 2003. Da hatten es in Wien schon die Spatzen auch außerhalb des Bankenzirkels von den Dächern gepfiffen, dass sich die rasante Expansion der Hypo in Kärnten nie und nimmer auf ordnungsgemäßen Wegen ausgehen könne. Wer sich dafür interessierte, konnte sich informieren.

Das waren aber gleichzeitig die Jahre, in denen Schüssel von seiner Umgebung als die singulare Erscheinung einer starken Führungspersönlichkeit im Kanzleramt verkauft wurde. Er habe alles und alle im Griff, hieß es immer. Wenn dem aber so war, dann ist heute die Frage erlaubt: Warum hatte er die marodierenden FPÖ-Politiker nicht im Griff?

Entweder Schüssel war nicht der tolle Regierungsmanager, für den ihn alle hielten. Dann wäre es erklärlich, warum das bunte Banken-Treiben in Klagenfurt seiner Aufmerksamkeit entgangen ist.

Oder aber er war es doch, dann hat er Jörg Haider in Kärnten nicht nur gewähren lassen, um in Wien seine Ruhe zu haben. Mit dem bekannten Schaden. Das alles ist nicht neu. Es wurde schon im August 2006 genauso thematisiert. Wahlkampfgetöse wahrscheinlich.

Es ist schon interessant, wie selektiv der Verantwortungssbegriff bei manchen Führungsfiguren wie Blatter und Schüssel ausgelegt wird. Dabei gilt doch für jeden „Chef“: Er ist für das, was unter seiner Aufsicht geschieht, verantwortlich. Wenn Schüssel vor dem U-Ausschuss aussagen wird müssen, kann er ja Blatter vom Donnerstag zitieren: „Ich kann nicht ständig auf alle aufpassen.“ Doch! Von einem Vorsitzenden – ob Verband oder Regierung – kann man das verlangen.

Von Schüssel sind keine Konsequenzen mehr zu fordern. An der Hypo-Last trägt das Land schwer. Die Klärung der Verantwortung aber könnte andere Politiker veranlassen, umsichtiger zu sein.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

Zur Autorin:

Anneliese Rohrer
ist Journalistin in Wien: Reality Check http://diepresse. com/blog/rohrer

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.05.2015)

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