Versteckspiel mit der Zukunft als gesellschaftlicher Zeitvertreib

Nur nicht genau hinschauen, dann lösen sich die Probleme von selbst oder andere werden für ihre Bewältigung verantwortlich sein: Das kann nicht gut gehen.

Ein Scharlatan, der behauptet, er hätte 1982, also im letzten Jahr der SPÖ-Mehrheit, schon gewusst, dass 33 Jahre später die beiden Großparteien unter 30 Prozent Wählerstimmenanteil dahindümpeln werden und um ihre gemeinsame Mehrheit im Parlament fürchten müssen. Oder dass eine unbedeutende Kärntner Landesbank jedem Österreicher Schulden von mehreren tausend Euro aufhalsen wird.

Ein Scharlatan auch, der heute weiß, wie dieses Österreich 2048 abseits aller zahlengestützten Hochrechnungen politisch, gesellschaftlich, sozial dastehen wird. Man kann sich dem Ausblick aber in Anlehnung an Karl Kraus als Optimist oder Pessimist annähern. Der positiv Denkende wird überzeugt sein, die heute geborenen Kinder werden mit 33 Jahren nicht mehr von der Sehnsucht nach einem ausreichenden Pensionsbezug beseelt sein, wie die Jungen es heute oft noch sind.

Sie werden erkannt haben, dass Österreich nur mit Innovation, besserer Bildung und Ausbildung und positiver Reaktion auf Konkurrenz in einer globalisierten Welt voranzubringen ist. Und entsprechend handeln. Sie werden es sich nicht gefallen lassen, dass staatliche und föderale Verschwendungssucht ihre Zukunft verspielt und sich daher zivilgesellschaftlich so stark einbringen, dass sie einen Stopp der Steuergeldvernichtung erzwingen.

Der Pessimist hat jedoch aus heutiger Sicht die besseren Argumente. Er kann darauf verweisen, dass gewisse, in einem Staatsgefüge dominante Wesenszüge einfach zur DNA einer Gesellschaft gehören und auch in 33 Jahren nicht veränderbar sind – so wie US-Präsident Barack Obama jüngst Rassismus als DNA der amerikanischen Gesellschaft identifiziert hat, nach mehr als 200 Jahren: Eine eher fatalistische Einsicht, jedoch sind mit ihr Änderungen eher möglich als ohne sie.

Demnach wären in Österreich Neid, Mieselsucht und Hinterhältigkeit, mit der lachend dem anderen ein Bein gestellt wird, auch in aller Zukunft vorhanden. Die Erfahrung der vergangenen Jahrzehnte zeigt einen hartnäckigen Hang zur Realitätsverweigerung. Der Pessimist muss lediglich den Umgang mit der NS-Zeit anführen: Statt wie in Deutschland einen tiefen Schnitt mit der eigenen Vergangenheit vor- und dafür die Verantwortung zu übernehmen sowie die richtigen Schlüsse daraus zu ziehen, hat sich Österreich viel zu lang in Ausreden geflüchtet.

Auch für Antisemitismus und Ausländerfeindlichkeit werden Ausflüchte gesucht. Pessimisten glauben zu wissen, dass sich das auch in Jahrzehnten nicht ändern werde. Warum? Weil eben auch die Weigerung, sich mit den eigenen und all den anderen Konflikten, die im Politischen vorhanden sind, auseinanderzusetzen, zur DNA gehören. Das wiederum würde bedeuten, so der Pessimist, dass wir 2048 noch immer über die gleichen Probleme zu diskutieren haben werden wie in den vergangenen Jahrzehnten: Pensionsalter, Bildungsreform unter neuerlich geänderten Bedingungen, Leistungsfeindlichkeit, Ausmaß und Ausgestaltung des Wohlfahrtsstaats, Ablehnung der anderen, wer immer sie dann sein werden.

Streng genommen spielen wir seit der Wiedererlangung der Freiheit mit der Unterzeichnung des Staatsvertrags vor 60 Jahren, seit dem Ende aller Ausreden auf die Weltgeschichte oder die Einmischung anderer also, Verstecken mit der eigenen Zukunft. Statt die Lösung von Problemen proaktiv anzupacken, wird zugewartet, bis sie sich von selbst auflösen – alles unter dem Mantra: Wird schon nicht so schlimm kommen, wird schon wieder vorübergehen. Durchwursteln, bis jemand anderer dafür verantwortlich zu machen ist.

Viele der Wesenszüge, die der Pessimist anführen würde, haben in der Mentalität Ostösterreichs aus historischen Gründen ihre Wurzeln. Dieses ist aber nun einmal mit der Bundeshauptstadt der politisch-gesellschaftlich dominante Faktor im Land. Auch das eine Realität, die nicht zur Kenntnis genommen wird. Es wird schon nicht so schlimm kommen? Hoffentlich nicht!

E-Mails an: debatte@diepresse.com

Zur Autorin:

Anneliese Rohrer
ist Journalistin in Wien: Reality Check http://diepresse. com/blog/rohrer

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.06.2015)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.