Die unglaubliche Befreiung durch die Begrenzung der Amtszeit

Wie würden Spitzenpolitiker ohne die Last der ständigen Wiederwahl agieren? In Deutschland wird darüber diskutiert. In Österreich denkt man nicht einmal daran.

Regelmäßige Leser der „New York Times“ werden sich vor zwei Wochen an den Kopf gegriffen haben. Wie kann das sein? Was ist da passiert? Starkolumnistin Maureen Dowd, bisher schärfste Kritikerin von Barack Obama zeigte sich plötzlich begeistert. Er schreibe die Geschichte der „lahmen Enten“ in der zweiten und letzten Amtszeit im Weißen Haus neu. Plötzlich sei der US-Präsident voll Energie und wirke befreit.

Mit Genuss zitiert Dowd David Axelrod, Obamas engsten Vertrauten seit den Anfängen seiner Karriere: „Er spricht die großen Themen an. Er sagt die harten Wahrheiten. Er verurteilt das Kleinliche an der Politik.“ Das sei jetzt wieder jener Obama, den er kenne. Und Dowd zählt die Erfolge der letzten Zeit – von Kuba über die Bestätigung der Gesundheitsreform durch das Höchstgericht bis zum Iran-Abkommen – auf.

Es ist nicht das erste Mal, dass ein US-Präsident in der zweiten Amtszeit mehr erreicht als in der ersten. Aber es ist vielleicht die spektakulärste Veränderung der letzten Zeit. Und sie ist ganz eindeutig der „Befreiung“ eines Politikers von der Last der Wiederwahl geschuldet.

Wieso sollte uns das in Europa und noch dazu in einer Parteiendemokratie wie Österreich interessieren? Es gibt hierzulande keine gesetzliche Begrenzung der Amtszeit – außer im Fall des Bundespräsidenten. Nur weil Heinz Fischer seine zweite und letzte Amtszeit nicht für mehr Dynamik, mehr Frische im Amt, klarere Worte genützt hat, ist das noch lange kein Gegenargument. Man erinnere sich nur an Rudolf Kirchschläger. Auch dieser wurde erst nach seiner Wiederwahl so richtig mutig. Die Sümpfe, deren Trockenlegung er nach 1980 verlangte, hatte es auch schon davor gegeben.

In der repräsentativen Parteiendemokratie der jetzigen Prägung kann man nicht ernsthaft über eine gesetzliche Begrenzung der Amtszeit eines Regierungschefs diskutieren. Es ist Sache der jeweiligen Partei, wen sie an die Spitze holt. Wenn die SPÖ zum Beispiel an Werner Faymann festhält, kann man ihr nicht gesetzlich verbieten, ihm zum dritten Mal die Regierung anzuvertrauen, sollte die Partei Platz 1 halten. Nur deshalb konnte Faymann vor einigen Wochen die eher gefährliche Drohung ausstoßen, bis 2022 Kanzler bleiben zu wollen: „Einige haben sich die vergangenen sieben Jahre mit der Dauer meiner Amtszeit beschäftigt, und die werden noch die kommenden sieben Jahre über meine Kanzlerschaft reden.“

Das soll aber nicht heißen, dass man nicht doch über die Sinnhaftigkeit von begrenzten Amtszeiten reden sollte. In Deutschland etwa mit seiner vergleichbaren politischen Struktur taucht diese Diskussion alle paar Jahre auf. So auch jetzt wieder im zehnten Jahr der Kanzlerschaft von CDU-Chefin Angela Merkel. Warum auch sollte man darüber nicht nachdenken dürfen?

Die Vorteile einer Begrenzung liegen auf der Hand, da muss man nicht einmal den Spruch von der „Macht, die korrumpiert“ verwenden. Wie anders – siehe Obama – kann ein Politiker agieren, sofern er sich nicht um Spitzenkandidatur und Wiederwahl kümmern muss.

Sobald ein Politiker keine Rücksicht mehr nehmen muss, könnte er sich nur mehr für das einsetzen, was er für richtig hält. Er kann zum Zweck der Durchsetzung Koalitionen eingehen, mit wem er will – auch mit politischen Gegnern. Nehmt es oder lasst es bleiben! Wie befreiend muss das sein. So könnte man zu einer weniger verkrampften und viel ehrlicheren Politik kommen. Vorausgesetzt man will – siehe Fischer.

Obwohl unsere parlamentarische Demokratie eine solche Reform wohl kaum möglich macht, könnte doch jeder Politiker für sich festlegen „Zehn Jahre sind genug“ statt es ewigen „Und immer, immer wieder Spitzenkandidat“. Niemand könnte ihn abhalten, dann danach zu handeln. In Österreich gilt das Gegenteil. Politiker legen sich auf Jahre fest. Kann es sein, dass sie gar nicht wissen, was sie mit ihrer Befreiung in der Politik anfangen würden? Sie sollten es wenigstens herausfinden wollen – und wir auch.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

Zur Autorin

Anneliese Rohrer ist Journalistin in Wien: Reality Check

http://diepresse.com/blog/rohrer

("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.08.2015)

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