Sommer unserer Widersprüche: Wovor wir uns fürchten sollten

Wenn Politiker einer überschaubaren Krise schon nicht Herr werden und immer nur auf andere zeigen, ist von ihnen im Ernstfall auch nicht viel zu erwarten.

Ein Sommer der Widersprüche geht zu Ende: einerseits die Aufgeregtheit der Flüchtlingswelle, andererseits die monatelange Untätigkeit der Regierung, verabschiedet in den Urlaub oder in die Schockstarre durch das Unerwartete, das schon seit Anfang Mai zu erwarten war. Einerseits die Angst vor dem Fremden und den Fremden, andererseits das Ende der Lethargie eines guten Teils der Zivilgesellschaft, sichtbar in zahlreichen Hilfsaktionen.

Einerseits die Politik der Konjunktive – „müsste“, „sollte“, „könnte“ –, der schönen Worte bei den Festspiel-Eröffnungen und der zahllosen Forderungen und Aufforderungen an den jeweils anderen – an Bund, Länder, Gemeinden, EU. Andererseits das Fehlen konkreter Initiativen wie Sondersitzungen der Landeshauptleute-Konferenz etwa. Einerseits die Hitze, andererseits die Kälte mangelnder Menschlichkeit im Umgang der Institutionen mit Flüchtlingen.


In diesem Sommer der Polarisierung aber wurde klar, wovor uns wirklich fürchten sollten:

– vor einer wirklich großen Krise, national oder international, und einer Regierung, die nicht einmal eine vergleichsweise beherrschbare Situation zufriedenstellend bewältigen kann. Wie hilflos wird sie dann sein?

– vor Politikern, die von anderen Staaten ganz allgemein eine militärische Intervention verlangen, damit Österreich vor den Auswirkungen fremder (Bürger-)Kriege verschont wird, ohne zu sagen, was Österreichs Beitrag wäre. Ob „unter Schmerzen“ wie Erhard Busek in einem ZIB2-Interview diese Woche; oder Außenminister Sebastian Kurz mit seinem rührenden Angebot, „militärische Schutzausrüstung“ an die Kurden zu liefern, nachdem er monatelang kaum etwas zu sagen hatte; oder mit kurzem Gedächtnis wie Landwirtschaftsminister Andreas Rupprechter, der in Interviews eine „Allianz der Willigen“ verlangt hat und sich dabei offenbar nicht an den Begriff im Zusammenhang mit dem Irak-Krieg der USA erinnert. Aus der Sicht Österreichs sind in militärischen Fragen immer andere als „Willige“ gefordert. Laut Rupprechter sollte außer den USA, Russland, der Türkei, Israel, Saudiarabien und Ägypten auch die EU mit Bodentruppen dem Terror des Islamischen Staates Einhalt gebieten.

Dass dies logischerweise auch den Einsatz von österreichischen Soldaten bedeuten müsste, verschweigt er. Denn sind wir nicht auch die EU?

– vor Politikern, die immer wieder europäische Solidarität in der Flüchtlingsfrage fordern, wie die Regierung diese Woche wieder, aber bei konkreten Beschlüssen den Widerstand Österreichs ankündigt. So geschehen in Brüssel Ende Juli.

– vor absichtlicher oder ahnungsloser Verwirrung der Begriffe. Innenministerin Johanna Mikl-Leitner spricht seit Mai vom „Notstand“ in der Flüchtlingsfrage. Hätten wir aber wirklichen einen im Sinn einer „gefährlichen Situation“, so muss er durch entschlossenes Handeln beseitigt werden. Dafür gäbe es der Papierform nach sogar eine Rechtfertigung, sich über geltende Gesetze hinwegzusetzen. Diese Regierung aber braucht vier Monate für ein Durchgriffsrecht. Das grenzt an Fahrlässigkeit oder es gibt gar keinen Notstand, sondern nur absichtsvoll herbeigeführtes Chaos.

Und wir sollten uns davor fürchten, dass die unerträglichen Zustände in Traiskirchen und in Zeltlagern der Radikalisierung junger Flüchtlinge aus Syrien, dem Irak und Afghanistan Vorschub leisten. Die Enttäuschung über unsere Demokratie und unsere Werte, die kleinen Demütigungen in Alltagssituationen aus Unwissenheit oder Ignoranz kann viele der jungen Männer für radikale Botschaften und Angebote anfällig machen. Dann werden die Radikalen wirklich unter uns sein.

Wir sollten daher die Quellen der Gefahren in Österreich schärfer ins Visier nehmen und uns damit auseinandersetzen, dann wären wir auch für die internationalen besser gerüstet.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

Zur Autorin:

Anneliese Rohrer
ist Journalistin in Wien: Reality Check http://diepresse. com/blog/rohrer

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.08.2015)

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