Der versäumte Abschied: Warum Politiker nicht loslassen können

Wenn Länderchefs wie Häupl, Pühringer, Pröll Jahrzehnte im Amt bleiben, hat das nicht nur mit Realitätsverlust, sondern auch mit Eigennutz ihrer Umgebung zu tun.

Die Angelsachsen haben eine treffende Beschreibung für Menschen, die nicht wissen, wann es Zeit ist zu gehen. „To overstay your welcome“ lässt sich nur unzulänglich mit „Gastfreundschaft überbeanspruchen“ übersetzen. Eher würde, auf das Politische bezogen, schon die Phrase zutreffen: Länger bleiben als man willkommen ist.

Die beiden Landtagswahl in diesem Herbst des Jahres 2015 offerieren eine Gelegenheit, darüber nachzudenken, warum so wenige Politiker den richtigen Zeitpunkt des Abschieds wählen? Warum kaum welche von ihnen merken, dass sie nach Jahrzehnten Gastfreundschaft und Willkommenbereitschaft der Wähler ausgereizt haben?

Oberösterreichs Josef Pühringer (ÖVP) war 20 Jahre Landeshauptmann und hätte sich das unrühmliche Ende via schwerer Wahlniederlage eigentlich ersparen können. Ebenso wie das noch kläglichere Schauspiel, die Verantwortung dafür auf die Flüchtlingssituation zu schieben. Das hätte nach zwei Jahrzehnten eines Landeshauptmannes nicht würdig sein dürfen.

Michael Häupl (SPÖ) ist seit 21 Jahren Wiener Bürgermeister. Zu gewinnen gibt es morgen, Sonntag, für ihn nichts. Auch er kann nicht anders, als seine Karriere mit einer Niederlage zu beenden. In Erinnerung wird die Wahlschlappe bleiben. Und – wie bei Pühringer – der völlig absurde Versuch, sich mit der Parole „Ohne mich wäre es noch schlimmer gekommen für die Partei“ das Ergebnis schönzureden.

Dabei wird nicht bedacht, dass damit ein vernichtendes Urteil über die Zustände in ÖVP (Linz) und SPÖ (Wien) einhergeht. Hauptsache, man kann sich selbst zum Retter in der Not hochstilisieren – und vorläufig bleiben. Nur der Vollständigkeit halber: Niederösterreichs Erwin Pröll ist seit 23 Jahren Landeshauptmann und offenbar nicht abgeneigt, sich seine finale Niederlage bei einer Hofburg-Kandidatur abzuholen.

Das Ganze ist kein rein Österreich-spezifisches Phänomen. Bedeutendere Politiker als diese Länderchefs haben den richtigen Zeitpunkt des Abschieds versäumt, Margaret Thatcher oder Helmut Kohl etwa. Auf die Frage, warum das so ist, kann man sich die Antwort aussuchen. Von den Betroffenen selbst wird eine gültige und ehrliche wohl nicht zu erhalten sein.

Also gibt es mehrere Varianten: Es geht um niedrige Instinkte, eben um Machterhalt und um all die Vergünstigungen, die damit verbunden sind; um so einfache Dinge wie Sekretärin und Chauffeur. Einmal noch kann die Funktion und das ganze Brimborium auf Jahre gerettet werden. Das genügt. Oder es geht um Unentbehrlichkeitsfantasien, also die Überzeugung, die eigene politische Tätigkeit sei unverzichtbar. Dabei handelt es sich dann um totalen Realitätsverlust.

Da dieser aber nicht so von selbst eintritt, muss er von der jeweiligen Umgebung befördert werden. Und da kommt das unterwürfige Verhalten vieler Bürger, Wähler, Mitarbeiter etc. ins Spiel. Wer ständig hört, er sei unersetzbar und überhaupt der hellste Stern am Himmel der jeweiligen Partei, muss zwangsläufig irgendwann die Fähigkeit zur Selbstreflexion verlieren.

Wer aber trägt die Verantwortung dafür? Die Betroffenen selbst? Sicher zu einem Teil. Aber auch Bürger und Mitstreiter. Ihr Mangel an Aufrichtigkeit verhindert, dass die jeweiligen Amtsträger ein realistisches Bild von sich selbst bekommen. Dabei geht es um den ganz gemeinen Eigennutz.

Die einen schielen auf mögliche Wohltaten per Schmeichelei, die anderen hängen mit ihrem Posten, ihrem Einkommen und ihrer Karriere vom Verbleib des jeweiligen Verantwortungsträgers im Amt ab. Der Abschied eines Politikers bedeutet immer auch Umstellung, Veränderung, Einflussverlust für andere.

Politiker also als Opfer ihres Publikums und ihrer Trabanten? Nicht nur, aber auch. Eine Rücktrittskultur in Österreich kann sich also nur entwickeln, wenn die „im Schatten“ einmal ihr Verhalten ändern.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

Zur Autorin:

Anneliese Rohrer
ist Journalistin in Wien: Reality Check http://diepresse. com/blog/rohrer

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.10.2015)

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