Im Herbst unserer Ängste: Heer situationselastisch am Heldenplatz

Das österreichische Bundesheer hätte seine Show zum Nationalfeiertag absagen und seine „Leistung“ in den Dienst des Flüchtlingsstroms stellen sollen.

Eines kann man Österreich bestimmt nicht absprechen: das Talent zum unfreiwillig und unvorhersehbar Komischen. So sorgt „unser Heer“ auch heuer am Montag mit einer großen Leistungsshow auf dem Wiener Heldenplatz für unsere „Sicherheit“. Gleichzeitig stellt der steirische Landeshauptmann, Hermann Schützenhöfer, angesichts der Flüchtlingsmassen an der Grenze zu Slowenien genau das infrage: „Die Hauptaufgabe des Bundesheeres ist es, die Grenzen für die Bürger zu schützen. Und das ist nicht mehr der Fall.“

Übrigens, wie kommt Schützenhöfer überhaupt auf die Idee? Seit der Volksbefragung Berufsheer/Wehrpflicht halten wir Katastropheneinsatz, Schneeräumung und indirekt Zivildienst für die „Hauptaufgaben“ des Bundesheeres. Oder hat man die Bürger belogen?

Am Donnerstag dieser Woche wurden dennoch 600 Soldaten an die Südgrenze verlegt. Ein paar Hundert aber stehen seit Tagen auf dem Wiener Heldenplatz herum, um die Leistungsshow aufzubauen und zu bewachen. Nun gut, diese Show gibt es inzwischen seit 20 Jahren. Da wäre es wahrscheinlich zu viel verlangt gewesen, sich darauf einzustellen, dass sich dieses Jahr die Rahmenbedingungen drastisch geändert haben. Dennoch: Situationselastisch gesehen hätte man dieses Jahr das Tamtam auf dem Wiener Heldenplatz, und sei es noch so populär, einfach streichen müssen. Aus ganz pragmatischen Gründen.

Das Geld und das Personal wären anderswo besser zu verwenden gewesen. Zum Beispiel bei Ankauf und Aufstellung der wirklich beeindruckenden Heereszelte, von denen zwei nun vor der Hofburg herumstehen. Wie viel Platz hätten sie in der Steiermark in den vergangenen Tagen frierenden Flüchtlingen bieten können! Die Situation dort hat sich ja nicht über Nacht verändert, sondern war seit Wochen vorhersehbar. Zeit genug! Auch für eine Absage der Heldenplatz-Tradition aufgrund aktueller Ereignisse.

So aber stehen am Wiener Ring Geräte herum, für die es, so manche Klage aus Heereskreisen, im Ernstfall nicht einmal genug Sprit gibt. Also, wir haben Panzer, die nicht fahren können, Eurofighter, die nicht fliegen können, aber laut Schützenhöfer kein Heer, das seiner Kernaufgabe gewachsen wäre. Man hätte rechtzeitig entsprechend reagieren und der Bevölkerung verständlich machen können, dass Gerät, Mannstunden, Ausrüstung in dieser einmaligen Krisensituation anderswo dringender gebraucht werden. Sie hätte es verstanden.

Eine Absage und Umschichtung der Kapazitäten wären sicher ein politischer Kraftakt gewesen – in einem zweifachen Jubiläumsjahr, 60 Jahre Neutralitätsgesetz, 20 Jahre Leistungsshow – aber einer, den man hätte erklären können. Die Bilder von den tausenden Flüchtlingen auf dem Weg nach Österreich hätte die Einsicht der Wähler schlagartig erhöht. Allerdings haben gerade die jüngste Aufregung um den Gender-Sprachleitfaden beim Bundesheer und die Umwandlung des Begriffs „Mannstunden“ in „Personenstunden“ nicht signalisiert, dass man beim Heer den Ernst der Stunde überhaupt begriffen hat.

So gilt trotz der dramatisch veränderten Lage am Montag, dem Nationalfeiertag, im Zentrum Wiens das ur-österreichische Motto: Das haben wir immer so gemacht. Das war immer schon so. Eben nicht! Spätestens seit diesem Herbst unserer Ängste sollten wir wissen, dass die Leistungsshow des Bundesheeres wenig mit der wahren Leistung und mehr mit Show zu tun hat. Spätestens seit diesem Herbst unserer Unsicherheit sollten wir wissen, dass wir mit diesem, bis an die Grenzen der Funktionsfähigkeit ausgehungerten Heer Umbrüche in Europa nicht bewältigen werden.

19 Jahre lang konnte das Heer am 26. Oktober den Besuchern vielleicht vorgaukeln, dass es nie ernst werden wird. Seit heuer ist es damit vorbei. So schnell können Illusionen zerbrechen. Das wenigstens sollten wir situationselastisch bedenken: Die nächste Herausforderung ist möglicherweise noch größer.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

Zur Autorin:

Anneliese Rohrer
ist Journalistin in Wien. Reality Check: http://diepresse. com/blog/rohrer

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.10.2015)

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