Im Krieg der Worte kann Österreich nicht das Opfer spielen

Harsche Kritik aus Deutschland an Österreichs Organisation der Flüchtlingsströme. Sich auf innerdeutsche Konflikte auszureden wäre ein großes Missverständnis.

Traurig, aber wahr: Immer mehr verstärkt sich der Eindruck, dass die Flüchtlingsströme zurzeit von einzelnen Politikern für ihre ganz eigene Agenda verwendet werden, die mit den Dramen auf der Balkanroute, durch Österreich und in Deutschland gar nichts zu tun hat. So ist es wahrscheinlich auch nur eine Frage der Zeit, bis Österreich wieder einmal in die Rolle des Opfers schlüpfen wird – dieses Mal im Krieg der Worte im unheilvollen Dreieck Berlin-München-Wien. Womit man sich dann neuerlich jegliche Selbstkritik ersparen und die Frage nach dem adäquaten Umgang mit den hereinströmenden Flüchtlingen unbeantwortet lassen kann.

Das wird in der Argumentation so gehen: Das Sperrfeuer aus München, Berlin und manchen deutschen Medien in Richtung Wien sei in Wahrheit wegen eines innerdeutschen Machtkampfs entzündet worden – und treffe Österreich nur wegen des betont guten Verhältnisses Angela Merkels mit Werner Faymann. In Wahrheit wolle sich der bayrische Ministerpräsident, Horst Seehofer (CSU), nur gegen die deutsche Bundeskanzlerin (CDU) profilieren, um wie seine Vorgänger Franz Josef Strauss und Edmund Stoiber die Spitzenkandidatur der Union bei der nächsten Bundestagswahl zu erreichen.

Das sehe man ja, so die österreichische Selbstbeschwichtigungsformel, auch an der harten Kritik des bayrischen Innenministers, Joachim Hermann, an Österreich, an Worten wie „unverschämt“, „skandalös“, „unverantwortlich“ im Zusammenhang mit der Überstellung der Flüchtlinge an die bayrische Grenze. Hermann wolle sich lediglich für die Nachfolge Seehofers in Stellung bringen.

Was also, so die erleichterte Frage, hat das alles mit uns zu tun? Mit so einem Dreh, Spin also, wäre Österreich wieder fein aus dem Schneider. Mit dem Image der schlampigen Organisatoren, der trickreichen Nutznießer bundesdeutscher Großzügigkeit, der Schlitzohrigkeit, das nun neuerlich in deutschen Medien transportiert wird, haben wir zu leben gelernt. Dagegen sei ohnehin kein Kraut mehr gewachsen, wenngleich eine so einmalige und dramatische Situation wie die derzeitige Gelegenheit genug bieten würde, es zu korrigieren. So könnten Bundes- und Vizekanzler, Innenministerin und alle mit der Bewältigung der Krise Befassten sehr wohl entschlossen und unter Vorlage eindeutiger Beweise gegen die Behauptung der „Süddeutschen Zeitung“ auftreten, wonach Flüchtlinge ohne jede Hilfe und Versorgung an die bayrische Grenze gebracht werden. Dann müsste die Zeitung das Wort „Schande“ für Österreich zurücknehmen.

Diese Chance wurde nicht ergriffen. Irgendwelche vagen Hinweise auf europäische Lösungen oder den ständigen Kontakt zwischen Faymann und Merkel können nicht wirklich als kraftvolle Korrektur eines angeblich falschen Images gelten. Eher schon als verschämtes Wegducken. Die Gefahr, dass eine energische Zurückweisung der Vorwürfe nur zu einer Eskalation im Krieg der Worte zwischen den Nachbarn führen könnte, ist ohnehin gering.

Und das aus Gründen der Artikulatonsfähigkeit. War schon die Kritik Faymanns an dem ungarischen Ministerpräsidenten mitsamt dem schrägen Holocaust-Vergleich etwas verschwurbelt, so würden wahrscheinlich auch klare Zurückweisungen der Vorwürfe nur gemurmelt oder so verschwommen deponiert werden, dass daraus mangels Verständlichkeit ohnehin kein Eskalationsfall entstehen könnte.

Das ist in der jetzigen Situation vielleicht sogar ein Vorteil. Denn in der aufgeheizten Situation kann jedes scharfe Wort in der Politik von zweifelhaften Gruppen als Ermunterung und Ermutigung aufgefasst werden, generell den Ton zu verschärfen – mit unabsehbaren Konsequenzen. So musste zum Beispiel Spiegel Online seine Foren zum Flüchtlingsthema schließen. Der Grund: Zu „viele unangemessene, beleidigende oder justiziable“ Beiträge. Da ist eine verbale Abrüstung dringend notwendig.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

Zur Autorin:

Anneliese Rohrer
ist Journalistin in Wien: Reality Check http://diepresse. com/blog/rohrer

("Die Presse", Print-Ausgabe, 31.10.2015)

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