Rot-schwarzes Endspiel und der Schaden für die Demokratie

Mitterlehner und Faymann nach einem Ministerrat
Mitterlehner und Faymann nach einem MinisterratAPA/ROLAND SCHLAGER
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Wie sie gelernt haben, mit dem Niedergang zu leben, und weshalb SPÖ und ÖVP das immer gleiche erfolglose Verhalten an den Tag legen.

Herr Minister, geh bitte!“ Kichern. „Geht's jetzt?“ Kichern. „Ja, es geht net um Ihre persönliche Profilierung.“ Szenen eines öffentlichen Auftritts von Außenminister Sebastian Kurz und Wiens Stadträtin Sonja Wehsely zum Thema islamistische Kindergärten.

Ein süffisanter Satz wie „Es freut mich, dass der Herr Bundeskanzler . . .“, eine scharfe Replik des Herrn Bundeskanzlers auf Vorschläge, die „nicht halten“: Szenen eines Pressefoyers nach dem Ministerrat. Solche Auftritte von Werner Faymann und Reinhold Mitterlehner sind seit einiger Zeit schon Schauspiele passiv-aggressiven Verhaltens, beredter Körpersprache. Der eine verdreht die Augen und wendet sich ostentativ ab oder lächelt eben süffisant, der andere wirkt zunehmend genervt.

Sollte sich nicht bald etwas ändern, so ist das Verhalten der beiden Parteichefs und der Vertreter von SPÖ und ÖVP geeignet, der Demokratie, wie wir sie kennen, in Österreich dauerhaft Schaden zuzufügen. Und das geht so: Schon lange nicht war durch das Zusammentreffen mehrerer Krisenerscheinungen und frustrierender Maßnahmen (vor allem in der Wirtschaft) die Stimmung so schlecht, waren Angstfaktor und Wutpegel so hoch. Und in dieser Situation gelingt es SPÖ und ÖVP nicht, eine professionelle Performance hinzulegen. Vielmehr schaffen sie es, bei jedem wichtigen Thema, den Streit öffentlich zu machen. Immer und immer wieder.

Die Pensionsreform „spaltet“ also die Koalition, die Asyl- und Flüchtlingsfrage sowieso, der Zaun, der nicht einmal ohne „Loch“ an der Südgrenze aufgezogen werden kann, auch; Mindestsicherung, Kindergärten und Bildungsreform detto. Kein Thema, das im vergangenen Jahr nicht in Streit endete, obwohl es jedesmal der letzte sein sollte. Hinzu kommt in einigen Bereichen noch ein fataler Hang, die Uhren – wie möglicherweise im ORF – in die Zeit des starren Proporzes, also vor die ORF-Reform 1967, zurückzustellen.

Je mehr Macht SPÖ und ÖVP gemeinsam einbüßen, desto unverschämter wollen sie diese offenbar absichern. Sind wir Zeugen eines rot-schwarzen Endspiels? Was bei Schach so viel wie die Endphase einer Partie, bei Samuel Becketts gleichnamigem Stück die gegenseitige Abhängigkeit zweier Männer bis zum bitteren Ende bedeutet.

Man kann es sich aussuchen. Wenn man es sich schon gar nicht mehr erklären kann, warum zwei Parteien und ihre Chefs nicht erkennen (wollen), dass sie auf der Verliererstraße dem Niedergang zurasen, hilft vielleicht ein Exkurs in die Psychologie. Diese kennt das Phänomen, dass zwanghaft Situationen gewählt werden, die vertraut sind – und seien sie noch so unangenehm, oder dass Partner ausgesucht werden, deren schlechte Eigenschaften einem bekannt vorkommen, auch wenn sie rational abgelehnt werden.

Das heißt: Man bleibt immer in seiner Komfortzone, in der man auch mit Negativem umgehen kann, weil man Erfahrung damit hat.

Anders ist es ja eigentlich nicht zu erklären, warum SPÖ und ÖVP auch nach der sechsjährigen Trennung von 2000 bis 2006 seit bald 30 Jahren mit den immer gleichen Fehlern am eigenen Niedergang arbeiten – ganz so, als wäre ihnen der Weg zur nächsten Niederlage eben der vertrauteste von allen und jede Abweichung ein Schritt aus der Komfortzone.

Im Grunde wäre das ausschließlich Sache der beiden Koalitionsparteien, die 1986 zusammen über 84 Prozent der Stimmen hatten, dann die Zweidrittelmehrheit verloren haben und nun fürchten müssen, nicht einmal gemeinsam die einfache Mehrheit zu erreichen. Aber „im Grunde“ ist in diesen angespannten Zeiten gar nichts. Man kann es nicht oft genug wiederholen: Wenn die Bevölkerung als Demokratie nur Streit, Hader und Lähmung erfährt, könnte sie bei einer weiteren Verschärfung der Krisen rasch bereit sein, darauf zu pfeifen.

Vizekanzler Reinhold Mitterlehner feierte am Donnerstag seinen 60. Geburtstag. Gute Gelegenheit für etwas Selbstreflexion – und eine Aussprache mit Faymann. Ohne verdrehte Augen.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

Zur Autorin:

Anneliese Rohrer
ist Journalistin in Wien: Reality Check http://diepresse. com/blog/rohrer

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.12.2015)

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