Stell dir vor, Provokation bestimmt die Politik – und niemand reagiert

Donald Trump tut es, Frauke Petry tut es, die FPÖ tut es: Der Werbewert von skandalösen Aussagen ist enorm. Wie er zerstört werden könnte.

Ist Politik in Zeiten der großen Verunsicherung wirklich so simpel? Es genügt die einfache Provokation für den maximalen und kostengünstigsten Werbeeffekt in der Öffentlichkeit. Kann Politik in Zeiten der großen Ängste wirklich so primitiv betrieben werden? Es genügt der stärkste Tabubruch für die Lufthoheit über die öffentliche Diskussion.

Stärker als in den vergangenen Jahren scheint Politik jetzt nach diesem Mechanismus zu funktionieren: Donald Trump, der clowneske US-Millionär mit Präsidentschaftsambitionen, macht es; Frauke Petry, Chefin der rechten Alternative für Deutschland (AfD) mit Erinnerungslücken, macht es; Heinz-Christian Strache in Österreichs FPÖ macht es – und eigentlich auch nur Jörg Haider aus den 1990er-Jahren nach.
Es ist zwar altbekannt, wird aber immer wieder übersehen: Damit dieser Mechanismus für die Tabubrecher funktioniert, braucht es immer zwei: jemanden, der provoziert, und viele, die sich provozieren lassen.

In den USA zeigt Trump seit Monaten welche ungeahnten politischen Möglichkeiten in diesem Mechanismus stecken: Für jede noch so ungeheuerliche Meinung werden die Bürger als Zeugen aufgerufen. Damit werden diese zu Komplizen gemacht, weshalb man politische Gegner und Medien zwingt, sich damit auseinanderzusetzen.

So funktionierte der (un-)aufhaltsame Aufstieg des Realityshow-Stars Trump bis zur Vorwahl in Iowa am vergangenen Dienstag: Provokation – ob pauschale Verunglimpfung aller Mexikaner als Vergewaltiger, Einreiseverbot für Moslems in die USA oder Prahlerei („Ich könnte in der 5th Avenue jemanden erschießen und würde keine Stimme verlieren“) –, Aufregung, flächendeckende Interviews, Einladung in jede verfügbare Talkshow, kostenlose Publicity, ohne auch nur einen Dollar für TV-Werbung ausgegeben zu haben.

In Deutschland könnte gerade jetzt die AfD den wahren politisch-publizistischen Wert völlig jenseitiger Provokation entdecken. Seit Vorsitzende Frauke Petry in einem Interview verlangt hat, die Grenzen Deutschlands müssten per Schießbefehl auf wehrlose Flüchtlinge geschützt werden, und ihre Stellvertreterin, Beatrix Von Storch, auch Frauen erschießen lassen würde – großzügigerweise keine Kinder –, wird im Fernsehen dauernd mit der AfD oder über die AfD geredet, was manche Medien schon das Ende der Talkkultur in Deutschland befürchten lässt.

Wir in Österreich sollten das kennen und eigentlich fähig sein, Fallen dieser Art zu umgehen. Dort saßen wir nämlich bereits in den Neunzigerjahren. Jörg Haider hatte sie aufgestellt. Rot-schwarze Politiker und wir Journalisten wussten einfach nicht, wie mit Haiders Provokationen umzugehen ist.

Wir haben uns für die Erregung entschieden. Empörte Aufregung und flächendeckende Diskussion mit und über seine FPÖ: Das schien damals das einzige Mittel. Es machte ihn nur noch populärer.

Das Ziel, den Provokateur in den Augen der Wählerschaft zu entlarven, wurde spektakulär verfehlt, jede Warnung vor der Spaltung der Gesellschaft verhallte ungehört.

Wie ein Kommentar des Innenpolitikchefs der „Süddeutschen Zeitung“, Heribert Prantl, dieser Tage zeigt, ist das Problem nach wie vor ungelöst: Je mehr Aufmerksamkeit die Provokateure (im Fall Deutschland: AfD, Pegida) erzielen, desto mehr fühlen sie sich zur nächsten abscheulichen Aussage ermuntert. Prantl: „Sie haben die Erfahrung gemacht, dass sich die anderen politischen Parteien und die mediale Öffentlichkeit darauf einlassen.“

Es ist an der Zeit, den Tabubrechern in der Politik mit mehr öffentlicher Gelassenheit einen Strich durch ihre simple Rechnung – Ungeheuerlichkeit = kostenlose Werbung – zu machen. Dazu notwendig ist allerdings der Konsens, auf „politische Obszönitäten“ (© Prantl) nicht mehr reflexartig zu reagieren. Die wirkliche Bedrohung kommt doch daher, dass dieser Konsens in Zeiten der Unsicherheit nicht mehr selbstverständlich ist.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

Zur Autorin

Anneliese Rohrer ist Journalistin in Wien: Reality Check http://diepresse.com/blog/rohrer

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.02.2016)

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