Ein blauer Bundespräsident macht noch keine Republik

Presidential candidate Norbert Hofer attends a May Day event in Linz
Presidential candidate Norbert Hofer attends a May Day event in LinzREUTERS
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Das Gerede von der Dritten Republik ist Quatsch. Leider. Denn gerade die jetzige Krise der Regierungsparteien eröffnet die Chance zu einem Neuaufbau des Staates.

Angenommen, es geschieht, was Medien und viele Wähler offenbar erwarten: Wir wachen am 23. Mai mit dem ersten Bundespräsidenten der Zweiten Republik aus dem freiheitlichen Lager auf, Norbert Hofer: Wir haben deshalb noch lang nicht die Dritte Republik, wie sie zuletzt so oft beschworen wurde. Das reicht dafür bei Weitem nicht.

Das kann man sogar bedauern. Denn abgesehen von der Zusammenlegung der Ämter Bundeskanzler und Bundespräsident, von der Schaffung einer Präsidialrepublik also, für die es wohl keine Mehrheit gäbe, könnte die Republik sehr wohl grundlegende Umbauarbeiten vertragen, an deren Ende sie dann tatsächlich die Zuschreibung „Dritte“ verdienen würde.

Da wäre einmal der unselige Föderalismus. Er ist die größte Geldvernichtungsmaschine, die sich Österreich leistet. Er stammt allerdings nicht aus der Zweiten, sondern aus der Ersten Republik. Um allein diesen auf das wirtschaftlich erträgliche und für das regionale Empfinden der Landesbevölkerung akzeptable Maß zu reduzieren, wäre eine Gesamtänderung der Bundesverfassung und somit eine Volksabstimmung notwendig.

Eine Einschränkung des Föderalismus und eine Abschaffung aller seiner Auswüchse würden aber noch immer nicht genügen. Es müssen noch viel weiter reichende Umbauten vorgenommen werden. So muss zum Beispiel die Landeshauptleutekonferenz entweder abgeschafft oder in einer neuen Verfassung mit genau definierten Kompetenzen verankert werden. Die Zwitter-Existenzen, die sich seit 1945 breitgemacht haben, müssen überall beseitigt werden.

Dazu gehören auch eine neue Jobbeschreibung für die Sozialpartnerschaft und die Streichung der Kammern aus der Verfassung. Dort wurden sie vor wenigen Jahren zur Existenzabsicherung des Einflusses von ÖVP und SPÖ verankert. Die beiden Parteien dürften bereits ihren Machtschwund vorausgeahnt und in Panik davor die Absicherung über den Umweg der verfassungsmäßigen Unantastbarkeit der Kammern gesichert haben. So gibt es zum Beispiel die berühmte Paritätische Kommission, dieser in Vorschriften gegossene Kompromisszwang aus der Zeit nach 1945, denn alle Beschlüsse müssen einstimmig fallen.

Heute kennt niemand mehr die Unterausschüsse für Lohn- oder Preisfragen, weiß kein Mensch mehr, was der Beirat für Wirtschafts- und Sozialfragen oder der Unterausschuss für internationale Fragen eigentlich tut. Seit 1994 haben sie jedenfalls keine Preisfragen mehr erörtert. Ein deutlicher Umbau der Republik muss sich aller Relikte aus der Zweiten entledigen, die ihren Wert verloren haben.

Und dann erst recht die Volksvertretung: Von der Aufwertung oder Abschaffung des Bundesrats wird bereits seit Jahrzehnten geredet. Passiert ist nichts. Die Dritte Republik würde nur den Namen verdienen, wenn sie die Spielregeln hin zu mehr Demokratie und weniger Versorgung für die politischen Parteien regelte. Nur so kann sichergestellt werden, dass sich nicht andere Parteien (eventuell nach dem kollektiven Selbstmord von SPÖ und ÖVP) der derzeitigen Strukturen bemächtigen und sie gleichfalls missbrauchen.

Ergo muss es in der Folge auch ein ganz neues Wahlrecht geben, vornehmlich ein mehrheitsbildendes und persönlichkeitsorientiertes. Nur wenn diese und viele, viele andere geltenden Spielregeln und Strukturen geändert, nur wenn die Bundesverfassung neu geschrieben und von mehr als 1000 unsinnigen Bestimmungen gesäubert wird – nur dann kann man von einer Dritten Republik sprechen.

Wer allerdings glaubt, dass ein solcher Umbau nie und nimmer realisiert werden kann, der sei an die – dem Gedächtnis nach nicht öffentlichen – Worte des jetzigen Bundespräsidenten, Heinz Fischer, in den 1990er-Jahren erinnert: Die beiden Großparteien, damals SPÖ und ÖVP, würden immer eine Zweidrittelmehrheit haben, sagte er. Jetzt aber haben sie überhaupt keine Mehrheit mehr. Wenn das nicht eine Chance ist!

E-Mails an: debatte@diepresse.com

Zur Autorin:

Anneliese Rohrer
ist Journalistin in Wien: Reality Check http://diepresse. com/blog/rohrer

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.05.2016)

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