Mitterlehner könnte ein Schicksal wie Susanne Riess erleiden

Sollte der Vizekanzler der ÖVP zu sehr mit dem neuen Bundeskanzler der SPÖ auf einer Wellenlänge surfen, provoziert er den Aufstand in den eigenen Reihen.

Wollen Sie, Reinhold Mitterlehner, Herrn Christian Kern zu Ihrem Koalitionspartner nehmen – in guten wie in schlechten Zeiten? „Ich will.“ Eine solche politische Hochzeits-, pardon Koalitionsformel, gab es zwar am Donnerstag im Nationalrat nicht wörtlich, aber dem Sinn nach hat es sich so abgespielt.

Die „Zukunftskonferenz“ der ÖVP am Freitag war offenbar als Versammlung der Trauzeugen gedacht. Nur, das wird nicht genügen. Denn Mitterlehner hat in den letzten Tagen die Chance verpasst, selbst klare Akzente zu setzen, die seiner Partei angesichts der Veränderungen in der SPÖ und deren Regierungsteam ebenfalls neuen Schwung gegeben hätte.

Was für ein starkes Signal für einen echten Neubeginn wäre es doch gewesen, hätte sich die ÖVP mit Kern auf ein wirklich „neues“ Bildungsministerium unter Sonja Hammerschmid verständigt. Mitterlehner hätte ihr die Universitätskompetenzen seines Ministeriums als „Morgengabe“ sozusagen überlassen müssen. Die ehemalige Vorsitzende der Universitäts-Konferenz strahlte so viel Freude über ihr neues Amt aus, dass ihr ruhig auch jener Bereich, den sie bisher am besten kennt, überantwortet hätte werden können.

Aber ein so mutiger Schritt würde die ÖVP wohl überfordern. Also bleiben wir bei den kleinen Schritten, die Mitterlehner auch unterlassen hat: ein Wechsel im Klub, eine Ablöse Reinhold Lopatkas also, wäre ein solcher gewesen. Wer sein Renommee bisher vor allem mit taktischen Spielchen gegen den Koalitionspartner aufgebaut hat, wird seine alten Gewohnheiten wohl schwer ablegen. Jedenfalls ist sein Verbleib kein Zeichen für den viel versprochenen neuen Stil.

Bei Durchsicht der Liste der ÖVP-Abgeordneten fällt jedoch auf, dass sich niemand als Alternative anbietet, schon gar nicht aufdrängt. Da rächt sich eben die fantasielose Personal- und Nachwuchspolitik der ÖVP. Lauter farblose Mandatare. Ähnliches könnte man bei der SPÖ analysieren, doch das ist nun eine andere Geschichte. Wenn schon Lopatka mangels Ersatz weitermachen soll, dann hätte Mitterlehner wenigstens das Generalsekretariat der Partei neu besetzen müssen. Auf Gründe dafür einzugehen, verbietet das Mitleid mit Peter McDonald. Also sei es bei der puren Behauptung belassen.

Mit diesem verpatzten Neubeginn erhöht sich aber das Risiko für Mitterlehner, ein ähnliches Schicksal zu erleiden wie seinerzeit Vizekanzlerin Susanne Riess in der schwarz-blauen Regierung. Auch sie war mit Wolfgang Schüssel, dem dynamischeren Teil der damaligen Koalition, auf einer Wellenlänge – wie dies Mitterlehner nun von sich und Kern behauptet. Auch sie hat mit dem ÖVP-Kanzler Änderungswillen signalisiert und so lange einen Kuschelkurs praktiziert, bis es Teilen der eigenen FPÖ zu viel wurde; bis Teile der eigenen Partei die Vereinnahmung durch die ÖVP befürchteten und den Aufstand inszenierten.

Ähnliches kann Mitterlehner passieren. Von selbst ernannten Gralshütern des Konservativen wurde ihm ja unter Werner Faymann schon vorgeworfen, die ÖVP nur zum Erfüllungsgehilfen des Koalitionspartners gemacht zu haben.

Wenn diese Vorwürfe nicht aufhören und Teile der Partei von durchgehenden Kompromissen mit dem Partner nichts mehr wissen wollen, dann werden sie gegen den Kuschelkurs revoltieren. Die Hellhörigen in der ÖVP werden die Skepsis Erwin Prölls in einem Interview bereits registriert haben. Die Frage ist dann nur, wo und wie wird das „schwarze“ Knittelfeld sein; jener Ort also, an dem 2002 das Kabinett Schüssel-Riess in die Luft gesprengt wurde.

Mitterlehner wird also ein Kunststück vollbringen müssen: den Konsens mit der SPÖ in der eigenen Partei salonfähig machen. Nur so kann er die jungen unruhigen Parteigänger um Sebastian Kurz ruhigstellen. Ganz sicher scheint er nicht zu sein. Denn am Donnerstag glaubte er nur, dass auch seine Familie, die ÖVP also, zu dem Ja-Wort steht, das er Kern gegeben hat. Gewissheit hört sich anders an.

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Zur Autorin:

Anneliese Rohrer
ist Journalistin in Wien: Reality Check http://diepresse. com/blog/rohrer

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.05.2016)

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