Nicht mehr der Krieg der anderen – Lehren aus 15 Jahren Terror

Wenn ein Dritter Weltkrieg droht, dann wird er mit den konventionellen militärischen Auseinandersetzungen nichts mehr gemein haben.

„It's War!“ Fünfzehn Jahre ist es her, da schrieen es die Schlagzeilen der New Yorker Zeitungen am Tag nach den Anschlägen auf das World Trade Center in die Welt hinaus. „Wir sind im Krieg“, sagte der französische Innenminister Bernard Cazeneuve am Tag nach dem Massaker von Nizza. „Sie hassen uns, weil wir so reich sind“, hatte US-Präsident George W. Bush im September 2001 verkündet. „Sie hassen uns, weil wir frei sind“, so könnte man die Reaktionen französischer Politiker zusammenfassen.

Auf die Symbolkraft des Terrors – da der französische Nationalfeiertag, dort das Finanzzentrum in New York – mit einfachen Erklärungen zu reagieren, ist unserer Zeit der simplen Sprüche und Schlagwörter geschuldet. Nur bewirkt es nichts.

Vier Flugzeuge vor 15 Jahren in den USA, ein Lastwagen am 14. Juli in Nizza – Krieg damals, Krieg heute? 2001 hatte der amerikanische Schlachtruf „Es ist Krieg!“ bei Europäern die Angst ausgelöst, es könnte ein Dritter Weltkrieg gemeint sein, so stark ist die Erinnerung an den Ersten und den Zweiten noch.

Jetzt, nach dem „Krieg gegen den Terror“, ausgerufen von Bush am 20. September 2001, dem Krieg in Afghanistan, im Irak, den Terroranschlägen in Paris, Brüssel, Istanbul und jetzt in Nizza ist klar: Von einem Dritten Weltkrieg will niemand sprechen. Doch wie viele Kriege gleichzeitig, wie viele staatenübergreifende Terroranschläge kann es geben, bis ein globaler Flächenbrand entsteht?

Ist es nicht ein entscheidender Fehler, den Begriff Krieg so inflationär zu verwenden, bis er seinen wahren Schrecken verliert und alle abgestumpft sind? Es ist schon lang nicht mehr der Krieg der anderen. Es geht auch schon lang nicht mehr um Krieg in seiner klassischen Definition, um die „organisierte bewaffnete Auseinandersetzung von Streitkräften zweier oder mehrerer Staaten“ also. Das alles gilt nicht mehr.

Was aber dann? Sicher ist nur unsere Unsicherheit. Wenn aber da das klare Denken an die Grenzen der Angst stößt und zum Beispiel aus jedem Verbrechen umgehend ein Terrorakt wird, ist es bis zur politischen Instrumentalisierung der Angst nur mehr ein kleiner Schritt. War nicht das Massaker in einer Diskothek in Orlando, Florida, vor einigen Wochen auch umgehend zum Terrorakt erklärt worden, bis sich Tage später ein ganz anderer Hintergrund auftat?

Handelt es sich in dem seinerzeit von den USA und nun von Frankreich deklarierten „Krieg gegen den Terror“, islamistisch in jedem Fall, nicht um so etwas wie einen „Geisterkrieg“? Der Westen kennt seine Gegner nicht wirklich. Er weiß (noch immer!) nicht, mit wem er es eigentlich zu tun hat.

Das macht auch einen Krieg so aussichtslos. Auffallend ist jedenfalls – und nicht erst seit dem Massaker während des 14.-Juli-Feuerwerks in Nizza –, dass in den vergangenen 15 Jahren Europa zum „Hauptkampfgebiet“ erklärt wurde – und nicht mehr die USA. 2001 hieß es in Europa: „Wir sind Amerikaner.“ Jetzt beten Amerikaner für die Opfer von Paris, Brüssel, Nizza und demnächst von wo?

Es ist nicht auszuschließen, dass die Drahtzieher des islamistischen Terrornetzwerks nicht nur weiche Ziele ins Visier nehmen, sondern Europa insgesamt eben als die Schwachstelle, an der mit geringerem Aufwand (nicht an Menschenleben, aber an Terrortechnik) größtmögliche politische Effekte zu erzielen sind.

Dagegen wird man mit der Versicherung, wir ließen uns unsere Werte nicht nehmen, nicht ankämpfen können. Das wäre nur mit erstarktem politischen Willen zur Zusammenarbeit möglich.

Eines braucht aber Europa sicher nicht – einen Verteidigungsminister wie Hans Peter Doskozil (SPÖ), der seine Liebdienerei den Bundesländern gegenüber beim Erhalt von Kasernen mit der „aktuellen Terrorbedrohung“begründet. Heute mehr noch als vorgestern will man wissen, was Österreich konkret im Krieg – oder besser im Kampf, der vor 15 Jahren begonnen hat – beizutragen bereit ist.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

Zur Autorin:

Anneliese Rohrer ist Journalistin in Wien: Reality Check http://diepresse.com/blog/rohrer

(Print-Ausgabe, 16.07.2016)

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