Wie es so weit kommen konnte, und warum jetzt ein Albtraum beginnt

Die US-Medien tragen Verantwortung für die Nominierung Donald Trumps zum Präsidentschaftskandidaten. Sie haben sein „Spiel“ nicht durchschaut und versagt.

Es war kein Fehler. Es war nicht peinlich. Es war Absicht. Es hat wieder funktioniert: Donald Trumps Ehefrau, Melania, hielt beim Parteitag der Republikaner eine Rede, die von Michelle Obamas Rede 2008 in Passagen wortwörtlich abgekupfert war. „Plagiat“ schrie es aus allen Kanälen. Die Medien sind also wieder in die Falle getappt. Melania Trump hätte ohne Plagiat nie jene Dauerpräsenz in den Medien bekommen, auf die allein es dem Trump-Lager ankommt.

Dieser Vorfall beantwortet einen Teil der Frage: Wie konnte es so weit kommen? Mit jedem skandalösen Sager, mit jedem Anruf in TV-Sendungen verschaffte sich der New Yorker Millionär flächendeckende Medienpräsenz, ohne auch nur einen Dollar für Werbung ausgeben zu müssen.

Die US-Medien werden sich einmal den Vorwurf gefallen lassen müssen, Komplizen eines Mannes geworden zu sein, den sein Ghostwriter Tony Schwartz einen Psychopathen nennt; der für Ruth Ginsburg, Mitglied des Supreme Courts der USA, ein Schwindler, für andere ein Demagoge, ein Rassist, ein Sexist, ein Narziss ist – ohne jede Absicht, das Amt des US-Präsidenten selbst im Fall seiner Wahl ernsthaft auszuüben.

Sie werden sich wahrscheinlich auch Vorhaltungen gefallen lassen müssen, auf den größten Schwindel des größten Hochstaplers in der US-Politik seit Langem hereingefallen zu sein. Trump würden die Superlative gefallen. In seiner Rede – oder besser: in seiner gebrüllten Ansprache – am Donnerstag vor dem Parteikongress der Republikaner kannte er nichts anderes: Er hat immer nur das Beste, das Größte, das Stärkste anzubieten.

Er kann es tun. Wie eine Umfrage jüngst zeigt, glauben nicht einmal seine Anhänger ein Wort dessen, was er zu versprechen scheint. Allein, es spielt keine Rolle für ihren Enthusiasmus. Auch seine Widersprüche scheinen ihnen egal zu sein. Donnerstagnacht berühmte sich Trump: „Niemand kennt das System so gut wie ich.“ Daher sei er auch der Einzige, der es reparieren könne. Es spielt keine Rolle, dass seine ganze Kampagne darauf ausgerichtet war/ist, dass er der Mann außerhalb des Systems sein will; jener, der die Wut vieler US-Bürger auf den politischen Stillstand in den USA, verursacht durch die Feindschaft der Republikaner zu US-Präsident Barrack Obama, am besten versteht. Als Mann des Systems ein Anti-Establishment-Kandidat! Egal. Es fällt seinen Anhängern nicht auf.

Die Medien in den USA werden sich aber auch die Kritik gefallen lassen müssen, ihre Kontrollaufgabe gröblich vernachlässigt und gewisse Dinge einfach ignoriert zu haben: die Klage gegen Trump wegen sexuellen Missbrauchs von Minderjährigen, die Vorwürfe sexueller Belästigung, die Weigerung, seine Steuererklärung zu veröffentlichen (bisher ein No-Go für jeden Kandidaten), die Tatsache, dass er als erster und einziger Kandidat an seiner eigenen Wahlkampagne auch noch privat Geld verdient, indem er sich alle seine Auftritte in den eigenen Hotels, seine Flüge im eigenen Flugzeug aus Mitteln des Wahlkampfs bezahlen lässt; seine Geschäftspraxis, verantwortlich für den Konkurs kleiner Firmen und den Verlust von Arbeitsplätzen.

Trump brüstete sich bei einer Veranstaltung damit, dass er die kleinen, ungebildeten Menschen liebe. Das dürfte ein anderer Teil der Antwort sein, wie es so weit kommen konnte. Sie können seine Tricks nicht durchschauen und wollen es auch nicht. Es ist eine Sache der Bildung, stupid! Aus vielerlei Gründen lässt das US-Schulsystem in dieser Hinsicht eine breite Masse der Wähler im Stich: Nicht nur zum Schaden der Demokratie, sondern der Wirtschaft, der Arbeitskraft, der Ausbildung, der Zukunftsperspektiven. Daraus speisen sich Wut auf das System und Leichtgläubigkeit. Leichtes „Spiel“ für Trump.

Ich habe immer fest an die Fähigkeit der USA geglaubt, sich im letzten Moment noch vor jedem Abgrund zurückzureißen. Jetzt bin ich nicht mehr sicher. Ein Albtraum beginnt.

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Zur Autorin:

Anneliese Rohrer ist Journalistin in Wien: Reality Check http://diepresse.com/blog/rohrer

(Print-Ausgabe, 23.07.2016)

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