Früher Wunsch an das Christkind: Bitte keine Frage mehr zur Neuwahl

Die Fixierung auf den Bruch der Koalition ist in der momentanen Situation sinnlos, kontraproduktiv, schädlich. Politiker und Medien sollten sich zurückhalten.

Also eine Wahlkampfrede war das gestern, Freitag, nicht, was ÖVP-Chef Reinhold Mitterlehner in der Aula der Wissenschaften unter dem etwas sperrigen Titel „Das Land nach vorne bringen“ bot. Dazu war sie zu beiläufig. Vom Format und Publikum her war es vielleicht eine Zwischen-Parteitagsrede, aber kurze Videos und die Bundeshymne machen auch noch kein Parteifest.

Also was war es dann? Die Präsentation neuer ÖVP-Slogans in Schwarz-Gelb, sicher. Davon werden nun wieder viele Medien und andere Beobachter die ersten Anzeichen von vorgezogenen Neuwahlen ableiten. Schließlich rückt auch das Ultimatum Mitterlehners an die SPÖ, bis Jahresende wirklich etwas zustande zu bringen, sonst habe die Partnerschaft keinen Sinn mehr, immer näher.

Aber langsam! Auch vor genau einem Jahr hat Mitterlehner nach dem Wahldebakel bei der oberösterreichischen Landtagswahl eine rote Linie gezogen – damals noch für Werner Faymann. Und im Herbst 2014 war ebenfalls schon von einem Ultimatum die Rede.

Das Jahresende wird zwar schneller da sein, als sich Bundes- und Vizekanzler von der Blamage des öffentlichen Streits auf der Regierungsbank vergangene Woche erholt haben werden, aber Neuwahlen sind mit der gestrigen Veranstaltung der ÖVP auch nicht näher gerückt.

Deshalb ein – zugegebenermaßen verfrühter – Wunsch an das Christkind: Alle Zuständigen, also Politiker, Journalisten und alle Filzmaiers dieses Landes, Politikberater eben, mögen sich ab sofort alle Fragen nach und alle Spekulationen über die angeblich so unausweichlichen Neuwahlen verkneifen.

Diese sinnlosen Fragen nach einem Termin zum Abbruch der jetzigen Legislaturperiode und damit zum Bruch der Koalition und die zwangsläufig immer sinnentleerten Antworten darauf leisten einen nicht unerheblichen Beitrag zu dem beängstigenden Vertrauensverlust, den das OGM diese Woche publiziert hat: 82 Prozent der Befragten hätten wenig bis kein Vertrauen in die Politik. Als Grund wurde die „katastrophale Performance“ der Regierung genannt. Diese wird aber auch nicht besser, wenn man jeden verfügbaren Koalitionspolitiker ständig nach dem Ende der Regierung befragt und ihn dabei beobachtet, wie er eine „rote Linie“ nach der anderen überschreitet, ohne dass Neuwahlen fixiert werden. Das gilt übrigens auch für Landeshauptleute.

Besser wäre es, wenn die Medien etwa die derart frei werdende Energie in die ständige Überprüfung von Ankündigungen und Versprechen stecken würden – mit anderen Worten also in Sachthemen. Mitterlehners Rede zum Beispiel gibt da viel her: Sie war gespickt mit Dingen, die man tun (oder auch lassen) sollte, um das Land nach vorn zu bringen.

Ergo könnte man doch eine Liste erstellen und den ÖVP-Wirtschaftsminister in nächster Zeit beim Wort nehmen: Nicht mit Fragen, auf die man keine Antwort erhält, nicht mit überflüssigen Spekulationen, sondern schlicht mit Nachfragen: Wurde dies und jenes endlich umgesetzt? Was haben Sie bei Punkt vier geleistet?

Dauernd das Neuwahlgespenst durch das Dorf zu treiben, ist auch noch aus anderen Gründen kontraproduktiv: Das Vertrauen in die Politik wird geringer, die Politikerverdrossenheit immer größer. Wenn ständig vermittelt wird, es ginge nur um Taktik, leidet das Ansehen noch mehr. Woraufhin die Medien dann beklagen, wie schlecht das Ansehen der Politik doch sei. Man sollte sich nicht zum Kumpanen der Demokratieskeptiker machen.

Ein handfester Grund dafür, dass das Neuwahlgerede zurzeit heiße Luft ist: Es gibt zu viele Abgeordnete, die dann ohne Mandat dastehen würden. Sie werden bei SPÖ und ÖVP der Parteispitze die Verkürzung schon ausreden. Ein Jahr Abgeordnetensalär auf oder ab macht schon was aus. Aber der Hinweis auf solch niedrige Motive bringt das Land auch nicht nach vorn. Eine Rückkehr zur Sachpolitik und zu Sachfragen eher. Was ist das jetzt? Eine Aufforderung an sich selbst!

E-Mails an: debatte@diepresse.com

Zur Autorin:

Anneliese Rohrer ist Journalistin in Wien: Reality Check http://diepresse.com/blog/rohrer

(Print-Ausgabe, 22.10.2016)

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