Wann werden die Jungen begreifen, dass es um ihre Zukunft geht?

Warum Barack Obama bei seiner Abschiedsreise in Europa gleich zwei Mal
nachdrücklich zu mehr Engagement aufrief: „Demokratie ist harte Arbeit.“

Es war ein merkwürdiges Schauspiel, das da in den letzten zwei Tagen in Athen und Berlin über die Bühne ging. Merkwürdig nicht im Sinn von eigenartig oder kurios, sondern im Wortsinn: Würdig, es sich zu merken.
US-Präsident Barack Obama wird in wenigen Monaten sein Amt verlieren. Dennoch wäre es wert gewesen, im Stavros-Niarchos-Kulturzentrum und mehr noch bei der Pressekonferenz mit Angela Merkel in Berlin genauer hinzuhören. Bei beiden Anlässen beschwor er eindringlich den Wert der Demokratie westlicher Prägung. Hatte man in Athen noch den Eindruck, als würde Obama die Gefahren des Machtwechsels in Washington übertünchen wollen, so sprach er es dann in Berlin deutlich aus: „Ich sage es den jungen Leuten in den USA, hier in Deutschland, in Europa: Haltet unser System und unsere Lebensweise nicht für selbstverständlich.“ Viele glaubten, Frieden und Stabilität werde es immer geben: „Das ist nicht so.“
Wenn 43 Prozent der wahlberechtigten Amerikaner nicht zur Urne gehen, dann schwäche das die Demokratie. Wenn sich Menschen nicht engagieren, einander nicht zuhören wollen, dann werde die Demokratie zerbrechen. Wenn sie zwischen Fakten und Propaganda nicht mehr unterscheiden wollen, dann „hat die Demokratie ein Problem“. Zu viele junge Menschen in Europa würden die Zeit des Kalten Krieges, der Mauern, vergessen.
Dass sich Obama mit solchem Nachdruck an die junge Wählergeneration, die 18- bis 29-Jährigen, die sogenannten Millennials also, wandte, hat gute Gründe. Der US-Präsidentenwahl am 8. November ist laut Circle-Institut rund die Hälfte aller Wahlberechtigten dieser Altersgruppe ferngeblieben. Darunter dürften viele Anhänger des „Sozialisten“ Bernie Sanders sein, die aus Enttäuschung über die Nominierung Hillary Clintons durch die Demokraten die Wahl verweigert haben. Zuvor war die Jugend mit dem Slogan „Feel the Bern“ voll motiviert gewesen. Wahlabstinenz und acht Prozent Stimmen für Drittkandidaten haben schließlich auch dazu beigetragen, Trump ins Weiße Haus zu schicken. Am Tag danach mit Entsetzen zu reagieren, ist ein großes Missverständnis in der Demokratie. Das haben wir so nicht gewollt, eine Leerformel. Auch bei der Brexit-Abstimmung im Juni in Großbritannien sah es anfangs danach aus.
Später sollte sich jedoch herausstellen, dass nicht 36 Prozent der Jungen an der Abstimmung teilgenommen haben, sondern laut „Guardian“ 64 Prozent. Immer noch nicht genug, um ihnen ein böses Erwachen zu ersparen.
Das ist nicht allein Schuld der Jungen oder eventuell ihrer Ichbezogenheit und ihrem Individualismus geschuldet. Junge sind durchaus interessiert, aber dieses Interesse setzt sich mangels „Angebots“ nicht in Mitarbeit in den demokratischen Institutionen und nicht in Beteiligung bei Wahlen um.
Im Zuge eines Buchprojekts vor fünf Jahren haben sich bei einer Befragung von einigen Hundert FH-Absolventen noch etliche als „Generation Ego“ oder „Generation Scheiß drauf“ bezeichnet.

Damals war ich noch der Meinung, es wäre Aufgabe der älteren Generation, die in den vergangenen Jahrzehnten von Stabilität und Wohlstand profitiert hat, sich jetzt mittels Engagements um die Festigung der Demokratie zu kümmern – während sich die Jungen um den Aufbau ihrer Existenz sorgen müssen. Das war falsch.
Es geht nicht mehr um die Generation 50 plus, das Heute oder Morgen. Die Wahlen und Abstimmungen jetzt entscheiden über die Zukunft von 19 plus. Deshalb müssen sich diese engagieren, einbringen, mitarbeiten. Obama sieht offenbar Gefahr im Verzug. Sonst hätte er nicht mehr Zeit auf seine Demokratie-Aufrufe verwendet als auf sein Vermächtnis. Obama am Donnerstag: „Demokratie ist harte Arbeit.“ Was die Jungen in Österreich davon halten, wird sich auch am 4. Dezember zeigen. „Das habe ich so nicht gewollt“ gilt am 5. Dezember nicht. Zu den Konsequenzen werden sie stehen müssen.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

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