Die Diktatur der Charakterlosen: Was alles plötzlich normal ist

Nicht der grassierende (Rechts-)Populismus ist das Gefährliche, sondern die Willfährigkeit, die Anbiederung der Wendehälse und die Schwäche der Kontrolle.

Die Szene ist ungefähr 20 Jahre her, nun taucht sie unvermittelt in der Erinnerung auf: Bundespräsident Thomas Klestil gibt einen Empfang in seinen Amtsräumen in der Wiener Hofburg. Eine Stunde vergeht. Klestil fragt hektisch alle Umstehenden: „Wo ist Haider?“

Jörg Haider war bekannt für seine verspäteten Auftritte, die ihm maximale Aufmerksamkeit sicherten. Stechschritte in den Gängen der Hofburg. Haider erscheint mit großer Entourage. Klestil stürzt auf den Kärntner Landeshauptmann zu und begrüßt den damals überaus Populären überschwänglich. So sieht Liebdienerei aus. Peinlicher ging es nicht.

Was das mit hier und heute zu tun hat? Alles! Es ist die Stunde der Wendehälse, in Europa vorauseilend noch bevor Donald Trump überhaupt das Amt des US-Präsidenten übernommen hat, in den USA sowieso. So hat sich hier in Österreich zum Beispiel Christoph Leitl völlig ohne Not beim Wirtschaftsparlament der WKO Trumps Wahlslogan angebiedert: „Make Austria great again“! Offenbar wagte es kein aufrechter Berater, ihn von dieser Peinlichkeit abzuhalten.

Man kann fast darauf wetten, dass in den nächsten Wochen in Europa die Stimmen jener Politiker, die wie Ungarns Viktor Orbán ergriffen verkünden, „Er hat mich nach Washington eingeladen“, zu einem Chor anschwellen werden. „Trump hat mich, nein zuerst mich – aber wo, mich eingeladen.“ Was für ein beschämendes Schauspiel das sein wird.

Wichtiger und gefährlicher als die rückgratlose Servilität (Ausnahme: die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel) in Europa ist aber die Parade der Opportunisten in den USA. Mitt Romney, vormals Gouverneur von Massachusetts und Präsidentschaftskandidat 2012, ließ sich bereits von Trump vorführen.

Wie kann jemand bei einem Mann antanzen, den er erst vor einigen Wochen einen Betrüger, Hochstapler, Schwindler, Lügner genannt hat, dessen „Versprechungen so wertlos sind wie das Diplom der Trump University“? So ist eben Politik? Nein, so kann und soll sie nicht sein. Möglich, dass Romney glaubt, er könne als Außenminister Trump beeinflussen und/oder freie Hand haben – und so den Schaden minimieren. Das haben andere bei anderen Autokraten und Diktatoren auch schon geglaubt – zu ihrem und aller Schaden. Wer soll Romney als Minister denn ernst nehmen, seinen Einschätzungen vertrauen? Trump ist ein Betrüger, aber Romney „freut sich jetzt auf die künftige Regierung“? Das ist keine Basis für die Politik einer Weltmacht.

Es ist also die Stunde der Wendehälse. Bei den Republikanern stellen sie sich gerade in Reih und Glied auf – von den erbitterten Gegnern im Vorwahlkampf bis zum Fraktionsführer Paul Ryan. Das macht die notwendige Kontrolle eines Autokraten (jedes) im Weißen Haus durch den Kongress unwahrscheinlich.

Noch deprimierender war das Schauspiel, das Vertreter der US-Medien diese Woche boten. Die wichtigsten Journalisten/Manager der TV-Stationen pilgerten zum Trump-Tower, ließen sich einschüchtern und behandeln wie Schulbuben.

Wirklich gefährlich ist also nicht die Welle des Populismus, rechts oder links, sondern die Feigheit und/oder Servilität politischer Verantwortlicher und der Medien. Das gilt für die USA wie für Europa. Der Rechtspopulismus mag zurzeit nach dem Trump-Coup einen Sog entwickeln, der Norbert Hofer, Marine Le Pen, Gert Wilders als Trittbrettfahrer zu Amt und Einfluss bringt und Orbán dort festigt.

Er kann aber nicht abgeschwächt werden, wenn alle seine Ungeheuerlichkeiten plötzlich als normal gelten. Hass das neue Normale? Oder wenn alle Kontrollinstanzen – Parlament, Verfassungsgericht, Medien – von der neuen Unterwürfigkeit geschwächt sind.

Nicht die Verlierer der Globalisierung, nicht die Wütenden und Ängstlichen unter den Wählern greifen die Demokratie an, sondern die Charakterlosen. So gesehen hätte sich Klestil 2000 seine saure Miene sparen können.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

Zur Autorin:

Anneliese Rohrer
ist Journalistin in Wien: Reality Check http://diepresse. com/blog/rohrer

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.11.2016)

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